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Quecksilbervergiftung

durch Amalgam

Leitsymptom: Kopfschmerzen

M. Daunderer


Der DAZ hat mit Interesse die fol­genden Ausführungen des Mün­chener Toxikologen Dr. med. habil. M. Daunderer im Forum des Praktischen und Allgemein-Arztes 28 (1989) Nr. 3 zur Kennt­nis genommen, die mit Einver­ständnis des Autors hier unge­kürzt wiedergegeben werden. Selbstverständlich sind allein aus der Tatsache, daß es u. E. frag­würdig erscheint, in Zeiten man­nigfacher Verschmutzungen von Luft, Wasser und Nahrungsmit­teln diffuse Beschwerden von Patienten allein den Amalgam­füllungen anzulasten, Zeifel an­gebracht. Doch sollte die Zahn­ärzteschaft diese Erkenntnisse zum weiteren Anlaß nehmen, sich mit der Frage der Toxizität von Amalgamen ernsthafter und in­tensiver als bisher zu beschäfti­gen.


Zahnärzte werden seit vielen Jahren mit den Beschwerden von Patienten mit Arnalgamfüllwigen konfrontiert. Da die Quecksilberwerte nur in den ersten Tagen nach Einsetzen der Füllungen mit 5 — 40 gei im Urin erhöht waren und dann wiederdeutlich sanken, dachte man dabei lediglich an frberempfindlichkeits­reaktionen,

Eine Reihe von Patienten gab jedoch in der Anamneseerhebung sehr exakt an, daß Monate bis Jahre nach Einsetzen mehrerer Amalgamfüllungen eine Lei­densgeschichte begann, die nach Ein­setzen weiterer Füllungen oder nach spätestens 10 Jahren deutlich schlim­mes wurde. — Dies bezieht sich nicht nur auf Patienten mit zusätzlichen Gold­oder anderen Metallprothesen, bei de­nen man schon allein aufgrund der elek­trochemischen Reaktionen mit iinange­nehmen lokalen Reaktionen und mit einer erhöhten Metallresorption rech­nen muß. Auch nach Entfernen der Amalgamfülltuigen besserten sich die


Quecksilbervergiftung durch Arnalk-un                                                                                                      M. Daunderer

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forum 25, 1989

Beschwerden erst nach Jahren. Wir berichten hier von 200 Patienten, die 1-22 Füllungen im Mittel seit 8 fahren hatten. Die deutlichen Beschwerden setzen etwa im 6. Jahr ein.

Amalgam

Amalgame entstehen durch Vermi­schen etwa gleicher Gewichtsanteile von Legierungspulver und Quecksilber.

Zusammensetzung des Legierungspul­vers:

Ag: min. 40%O Sn: max. 32 Cu: max. 30 % Hg: max. 3% Zn: max. 2% (Angaben in Masseprozent).

Die erhärteten Amalgame bestehen vorwiegend aus den Ausgangsphasen Ag1Sn, Cu/Sn und häufig Cu/Ag Eutek­tikum sowie den Reaktionsphasen Agillgi und Cu5Sn6 und keinem oder nur geringstem Anteil der Sn-llg-Phase.

Sowohl beim Füllen als auch beim Entfernen der Amalgamfüllungen kommt es zur verstärkten Freisetzung und Organspeicherung aller Metalle und damit zur chronischen Vergiftung.

Leitsymptome

Kopfschmerzen (rnigräneartig) – am häufigsten (85 %)

Schlafstörungen Gedächtnisstörun­gen Nervosität Tremor • Depression -Gastritis - Colitis • Infektanfälligkeit - Allergie.

Besonders stark betroffen sind nervö­se Patienten, die auf Nervengifte beson­ders stark reagieren und Patienten mit Neigung zu vasoaktiven Kopfschmer­zen.

Im Gegensatz zu akuten Quecksilber­vergiftungen tritt in den ersten 10 Jahren keine verlängerte Nervenleitgeschwin­digkeit und keine Niereninsuffizienz zutage. Über ein möglicherweise erhöh­tes Krebsrisiko, embryotoxische und teratogene Effekte gibt es keine Unter­suchungen.

Differential diagnostisch muß eine andere Quecksilbervergiftungsquelle eruiert werden, wie z.B. Meeresfrüchte-Konsum in extremem Maß (Thunfisch, Krabben, Muscheln).

Wirkungscharakter

Absorbiertes Quecksilber wird haupt­sächlich an Sulfhydrylgruppen von Proteinen gebunden. Die Aufnahme ins Gehirn geschieht zwar langsamer als ins übrige Gewebe, erreicht jedoch hier die höchsten Werte und hat im Gegensatz zur. biologischen Halbwertzeit von 70 Tagen hier eine Halbwertzeit von 18 Jahren. Nur ein geringer Teil des resor­bierten Quecksilbers wird über Niere und Dann ausgeschieden, der Rest geht in die Depots, von denen das ZNS kli­nisch besonders relevant ist.

Selbst nach Entfernen der Amalgam­füllungen werden sich daher ohne Mobilisation die vorhandenen Vergif­tungssymptome nur außerordentlich langsam bessern. In behandelten Fällen


M. Daunderer                                                                Quecksilbervergiftung durch Amalgam

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verschwand u.a. eine Migräne nach ca. 4 Monaten völlig.

Wirkung von DMPS

DMPS senkt 'im Gegensatz zu allen früheren Komplexbildern die Konzen­tration des im Gehirn angereicherten Quecksilbers, auch wenn die Ausgangs-Blut- oder Urinwerte im Normbereich liegen (Norm bis 4 pg/1 im Urin), Die Wirkung besteht nur extrazellulär, da­her isteine Entgiftung nur auf dem Wege der Diffusion möglich.

Wenn nach der Gabe von DMPS (1 Amp 250 g i.v.) der Wert im Urin auf über 50 iig/Iansteigt, ist dies ein sicherer Beweis für die Anreicherung in den Organen wie im Gehirn. Die Elimina­tion kann fraktioniert — z.B. alle 4 Wochen — erfolgen. Die Therapie kann auch viele Jahre nach Entfernen des Amalgams nötig sein. Nach wiederhol‑

ter DMPS-Gahe ist die Substitution von Zink-Aspartat und evtl. Eisen nötig.

Nachweis

Mobilisationstext

·      Spotanurin asservieren für Ilg--Unter­suchung

·      4 mg/kg KG DMPS i.v. (Dimaval2) (Kinder 10 mg/kg KG als Kapsel oral)

·      ca. 20 ml der nächsten Urinproduktion asservieren, auf Hg, Cu und Su unter­suchen.

Wiederholung ist empfohlen:

·      bei Werten >100 pgil vierwöchentlich

·      bei Werten >50 pg/1 vierteljährlich

·      sonst nach 6 Monaten

·   bei Werten >1000141 wird empfoh­len, wöchentlich eine Kapsel einneh­men zu lassen.

Toxizität

Gefährlicher als enge, tiefe Füllungen sind großflächige occlusale Defektdek­kungen. Eine große Arnalgamfüllung führt pro Jahr Verweildauer bei Mobili­sation zu Werten von 40 1.1g/1 im Urin. Bei über 50 j.tg/l nach Mobilisation tre­ten erfahrungsgemäß neurologische Störungen wie Kopfschmerzen und Neurasthenie auf

Über 10 Füllungen (---> bis 2565 14/1 Hg nach DMPS) führten in der Regel zu quälenden Beschwerden.

Umwelttoxikologie

Mindestens 13 % des Quecksilberge­haltes im Abwasser stammt aus Zahn­arztpraxen (Berlin). 1100 Zalinarztpra­xen in Hamburg setzen jährlich 0,4 1 Quecksilber in die Abwässer frei_

Zusammenfassung

Im Gegensatz zu einer nicht aussage­kräftigen Spontanbestimmung im Blut oder Urin, die stets unauffällig ausfällt, reißt man je nach Anzahl, Oberfläche und Verweildauer der Amalgamfüllun­gen die chronische Quecksilberspeiche­rung nach einer einmaligen Mobilisa­tion mit DMPS. Es wurden Werte bis zu 2565 pg/1 im Urin gefunden. Bei einer Urinkonzentration nach Mobilisation von über 50 pg/lkönnen typische neue‑


Quecksilbervergiftung durch Amalgam

logische Beschwerden auftreten, von denen migräneartige Kopfschmerzen die häufigsten sind. Die Beschwerden sind durch wiederholte Antidotgaben im Intervall zum Verschwinden zu brin­gen. Die Kurilcankassen zahlen nach Messung der Giftkonzentration im Spei­chel durch die Mobilisation und ent­sprechenden Vergiftungssymptomen den Austausch in Goldinlays . Da Queck­silber bei Verarbeitung und Entsorgung ebenfalls toxikologisch bedenklich ist, ist eine Vermeidung wesentlich günsti­ger.

Ausblick

Amalgame sollten heute nicht mehr eingesetzt werden. Bei einer größeren Anzahl älterer Füllungen und Kopf­schmerzen sowie Nervosität sollte auch nach Amalgarnentfernung noch ein DMPS -Mobilisationstest durchgeführt und evtl. eine anschließende Therapie angesetzt werden.

Anschrift des Verfassers:
Dr. med. Max Daunderer, Internist
Weinstrasse II
Tel. 0891293232
8000 München 2