Umwelt-ZahnMedizin - unbequeme Wahrheiten?

EDITORIAL

Die Zahnheilkunde hat sich zu einer perfekten technischen Zahnmedizin entwickelt, es gibt hervorragende Konzepte im Bereich der Implantologie, Endodontie, der Ästhetik. Diese Aufzählung ist zufällig und nicht vollständig. Die meisten Konzepte bieten erfolgreiche lokale Erfolgslösungen, aber der lokale Erfolg ist auch gleichzeitig sein größtes Problem: der menschliche Organismus in seiner Komplexität

wird weitestgehend außer Acht lassen. Nicht zuletzt auch deswegen fordert der Präsident der Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) Prof.Meyer (Uni Greifswald) mehr Medizin in der Zahnheilkunde.

In einem der besten zurzeit auf dem Markt befindlichen Bücher über die Biokompatibilität zahnärztlicher Werkstoffe werden ausführlich Zusammensetzungen und Bewertungen über Verträglichkeit zahnärztlicher Werkstoffe vorgenommen (Schmalz, G., Arenholt-Bindslev, D. (Hrsg.) (2004): Biokompatibilität zahnärztlicher Werkstoffe, Elsevier München). Allerdings hat dieses Buch ein Problem nicht gelöst: es beschreibt die Verwendung zahnmedizinischer Werkstoffe für gesunde Menschen. Aber wie sieht die zahnärztliche Therapie bei schadstoffbelasteten Menschen aus?

Dr. Kurt Müller (dbu) kalkulierte bereits vor Jahren den Anteil der MCS Erkrankten etwa gleich hoch wie den der an Diabetes oder an Schuppenflechte Erkrankten (ZfU 4/03). Nach seinen Worten müssen wir mit mittlerweile 40 % Atopikern in Deutschland rechnen. Die Zahnärzteschaft hatte bisher mit diesem Problem der chronischen Erkrankungen wenig Berührungspunkte: So ist die Depression oder Parkinson-ähnliche Symptomatik in der Zahnarztpraxis eher ein lästiges Therapiehindernis, als dass die Erkrankung auch als zahnärztliche Aufgabe gesehen wird.

Dass zahnärztliche Restaurationen oder Entzündungsprozesse im oralen Bereich auch für diese Erkrankungen kausal bedeutsam sein können, wurde bisher nur von „komplementär” arbeitenden Zahnärzten beschrieben - negiert von der universitären Zahnmedizin. Gab es in der Vergangenheit nur „komplementäre” Methoden, um solche Zusammenhänge aufzuzeigen, so hat sich spätestens seit der intensiven Zusammenarbeit von Umwelt-, Zahn- und Labor-Medizinern gezeigt, dass es sehr wohl wissenschaftliche diagnostische Möglichkeiten gibt, um solche Zusammenhänge nachzuweisen.

Die übliche Einordnung zahnärztlicher Werkstoffe als biokompatibel und somit generell bei jedem Patienten verwendbar, ist spätestens seit Erkenntnis der individuellen Suszeptibilität in Frage zu stellen. Zahnärztliche Werkstoffe sind offiziell Medizinprodukte, keine Arzneimittel, obwohl sie 24 Stunden pro Tag oft in nicht abschätzbaren Mengen in Lösung gehen, also oral appliziert werden und metabolisiert, d.h. entgiftet werden müssen.

Dr. Bückendorf beschreibt in diesem Heft die Auswirkung zahnärztlicher Werkstoffe bei chronisch kranken Patienten. Diese sind von ihren Zahnärzten in bestem Wissen und Gewissen, aber oft nur mechanistisch behandelt worden, ohne die Kenntnis der individuellen Auswirkungen zahnärztlicher Werkstoffe auf die Gesundheit.

Die zugelassenen Produkte sind in ihrer Zusammensetzung in den meisten Fällen nicht vollständig deklariert (z. B. Kunststoffe!), oder es fehlen wesentliche Aussagen über ihre Löslichkeit: so kann der Korrosionswert von biokompatiblen CE-Zeichen gesicherten Legierungen schon im Standardversuch durchaus um den Faktor 1000 differieren.

Der Zahnarzt erhält Produkte oft nur mit einer Arbeitsanweisung und dem Hinweis, dass er die Verantwortung für die lokalen und systemischen Wirkungen übernimmt. Als Behandler wird er hier allein gelassen in der Auswahl der Werkstoffe, deren toxisches, immunologisches oder hormonelles Potential ihm nicht bekannt ist.

Die individuelle Verträglichkeit des Titans und dessen uneingeschränkte Verwendbarkeit in der (zahnärztlichen) Implantologie wird im Beitrag von Dr. Bartram zu Recht in Frage gestellt (in diesem Heft). Wir (Zahn-) Ärzte sind aufgefordert, neben der herkömmlichen Toxikologie auch die Relevanz immunologischer und entzündlicher Reaktionen, individueller Genpolymorphismen, sprich der individuellen Suszeptibilität zu erkennen.

Zahnärzte und Umweltärzte haben sich zu gemeinsamen Arbeitskreisen, Kongressen und Fortbildungen gefunden, um Wissen auszutauschen. Das Netzwerk mit interdisziplinärer Zusammenarbeit bringt uns neue faszinierende Erkenntnisse, dieses Heft zeigt erste Ergebnisse dieser Arbeit. Fortbildungen und Curricula im Bereich der Umwelt-ZahnMedizin werden von dbu und GZM angeboten, Informationen gibt es bei

den jeweiligen Geschäftsstellen.

 

Lutz Höhne

Zahnarzt

Projektleiter Umwelt-ZahnMedizin, GZM

Bahnhofstr. 24, 67246 Dirmstein

 

 

Umwelt·Medizin·Gesellschaft | 20 | 2/2007.