1982 Todesurteil des Heilpraktikers annulliert

Bei Heilpraktikern hatte ich stets einen guten Ruf, da diese nie Medizin lernen und alles mystisch auf Gifte zurückführen.

Da ich gerade im Ärztlichen Notdienst mit einer Kollegin tätig war, saß ich am Samstagnachmittag in meiner Praxis als eine junge Frau kam und um Verschreibung starker Schlafmittel bat. Sie machte den Eindruck einer Selbstmörderin. Da ich dies nie verschrieb, fragte ich nach den Hintergründen. Ihre 75 jährige Mutter sei zu Besuch aus dem Schwarzwald, St.Anton, gekommen und plötzlich krank geworden. Eine Heilpraktikerin, die täglich komme, hätte ihr gesagt, man könne ihr nicht mehr helfen und sie müsse sterben.

Die Tochter müsse so lange an ihrem Bett wachen. Jetzt bekomme die Mutter seit Tagen keine Luft mehr und habe noch nie Wasser gelassen. Ich war sprachlos, glaubte nichts und fuhr sofort zu diesem „Einsatz“.

Beim Betreten des Zimmers fand ich eine Sterbende mit blauen Lippen, die verzweifelt nach Luft rang, aufgebahrt zwischen brennenden Kerzen.

Beim Aufheben der Bettdecke sah ich ein ungeheuer aufgedunsenes „Walroß“ mit dicken Ödemen am ganzen Körper. Die Lunge war völlig voll Wasser bis drei Querfinger unter dem Kinn. Im EKG zeigte sich ein schwerer, frischer Hinterwandinfakt mit einer extremen Rechtsherzbelastung, das heißt, die Lunge wurde kaum mehr mit Blut versorgt. Das Herz war extrem gestaut.

Die Patientin war voll ansprechbar und liebenswürdig. Ich überlegte laut zu meiner jungen Kollegin: „wenn sie den Infarkt vor 14 Tagen gut überlebt hat, gibt es keinen Grund, dass sie jetzt sterben müsse“. Ich fragte sie, ob sie weiter leben will. Sie antwortete: „Ja natürlich, bitte helfen sie mir, das Sterben ist ganz fürchterlich“. Da unendlich viel Wasser vorsichtig aus dem Körper ausgeschieden werden musste und die Tochter darauf bestand, nahtlos neben ihrer Mutter zu sitzen, wählte ich eine Intensivstation einer kleinen chirurgischen Privatklinik in Solln, deren Anästhesisten ich gut kannte und fuhr die Patientin im Notarztwagen dorthin. In den nächsten drei Wochen schied die Patientin 40 Liter Wasser aus dem Körper aus und wurde völlig gesund. Die Dankesorgien in meiner Praxis waren ungeheuer lieb. Noch 15 Jahre lang erhielt ich von ihr Fresskörbe voll Schwarzwälder Schinken zu Weihnachten.

Aus dem kleinen Örtchen im Schwarzwald kamen noch viele Patienten mit eindrucksvollen, seltenen Krankheiten wie der Schlosser mit einer schweren Nickelvergiftung durch das Schleifen von Schlüsseln. Mein früherer Chef, Prof. Begemann wählte den Ort zu seinem Sterbeort und schickte vorher alle Schwervergifteten zu mir.

(Auszug aus meiner neuen Biografie)