Schizophrene  vermehrt zur Gewalt bereit

Als 1990 Oskar Lafontaine und Wolfgang Schäuble Opfer schizophrener Attentäter wurden, sagten Experten noch, schizophrene Patienten neigten nur wenig häufiger zu Gewalt als die übrige Bevölkerung. Neuere Studien widerlegen das.

Akut schizophrene Menschen werden drei- bis viermal häufiger auffällig wegen Gewalttaten als nicht psychisch Erkrankte. Sogar siebenfach höher ist das Risiko in der Altersgruppe bis 26 Jahren bei Schizophrenen im Vergleich mit gesunden Gleichaltrigen. Die Krankheit wird oft im Alter von Mitte bis Ende zwanzig erkennbar, so Professor Ulrich Trenckmann, Leiter der Hans-Prinzhorn-Klinik in Hemer bei Iserlohn.

Neuere Untersuchungen belegten, dass schizophrene Menschen nicht nur andere Personen häufiger gefährden als der Durchschnitt der Bevölkerung, sondern auch sich selbst. Ob Aggressionen schizophren Erkrankter eskalierten, hänge auch davon ab, wie sensibel Betreuer die Gefahr wahrnähmen und wie professionell sie reagieren könnten, so Trenckmann bei einem vom Unternehmen Lilly unterstützten Schizophrenie-Symposium in Sintra bei Lissabon. "Natürlich muss es auf einer psychiatrischen Station Regeln geben, aber eine gewisse Flexibilität entspannt die Situation", so der Psychiater. Sage man etwa einem schizophrenen Patienten apodiktisch am Abend: "So, jetzt ist Schlafenszeit, gehen Sie jetzt ins Bett, ich möchte das Licht löschen", fühle er sich in die Ecke gedrängt und seines Handlungsspielraums beraubt, so Trenckmann. Nicht zufällig ereigneten sich morgens und abends am häufigsten Übergriffe.

Untersuchungen aus Deutschland und Großbritannien ergaben, dass zwischen 65 und 95 Prozent der Pflegekräfte in der Psychiatrie Gewalterfahrungen gemacht haben. Von 155 Vorfällen, die Trenckmann in psychiatrischen Abteilungen in Nordrhein-Westfalen untersuchte, ereigneten sich 87 Prozent auf geschlossenen Stationen, die übrigen auf offenen oder halboffenen. Zu 57 Prozent hatten die Übergriffe in der Allgemeinen Psychiatrie stattgefunden, zu 21 Prozent in der Gerontopsychiatrie, zu 9 Prozent in Förderbereichen für geistig behinderte Menschen und zu je 5 Prozent in der Suchtbehandlung und in der Forensik.

Um Gewalt auf den Stationen vorzubeugen, gibt es an der Hans-Prinzhorn-Klinik ein De-Eskalations-Training für Pflegepersonal und Ärzte, in dem die Teilnehmer lernen, Spannungen und Stresssituationen bei sich, den Patienten und auf der Station bewusst wahrzunehmen. In Rollenspielen wird geübt, in Konfliktsituationen optimal zu reagieren. Auch werden einfache Haltegriffe zum Selbstschutz trainiert.

STICHWORT

Gewaltbereitschaft

Prädiktoren für die Gewaltbereitschaft bei schizophrenen Menschen sind: paranoid-halluzinatorische Formen der Schizophrenie, Gewalt in der Vorgeschichte des Kranken, verbale Androhung von Gewalt, langer Krankheitsverlauf, Substanzabhängigkeit, fehlende Rückzugsmöglichkeiten im persönlichen Lebensraum, fehlende Handlungsalternativen, ein Alter über zwanzig und unter vierzig Jahren sowie männliches Geschlecht, so Professor Ulrich Trenckmann. Betreuungspersonal müsse sensibel auf potentielle Gefahren reagieren.

Ärzte Zeitung, 27.02.2002