1959 Psychisch krank wird jeder Vergiftete

Diesen Lehrsatz meines Vaters, einem damaligen Psychosomatiker und Homöopathen hörte ich oft.

Mein Vater wollte eigentlich Chirurg werden, bis zu einem Schlüsselerlebnis. Sein Chefarzt verlangte von ihm, dass er einem jungen, minderbegabten Mädchen, die im 6.Monat schwanger war und sich auf ihr Kind freute, eine Abtreibung gegen ihren Willen machen sollte und sie dabei sterilisieren sollte.

Es war wie ein Befehl im dritten Reich, das Leben galt als nicht lebenswert. Da das Mädchen flehentlich um sein Kind bat, lehnte mein Vater den Eingriff ab. Sein Chef Leebsche - ein Sauerbruch-Schüler - entließ daraufhin meinen Vater 1939 fristlos. Der nächste Arzt machte den Eingriff. Mein Vater sollte ein Disziplinarverfahren wegen Verstoß gegen das Ärztegesetz erhalten. Dazwischen kam der Krieg. Als Fliegerarzt bemühte er sich viel um die Zivilbevölkerung  in Russland bis 1942, dann in Sardinien und Südfrankreich. Unter der Folter der Franzosen bei der Gefangennahme hörte er vom amerikanischen Rot- Kreuz- General, dass die USA dafür sorgen werden, dass nie mehr ein Deutscher ein Gewehr in die Hand nehmen muss. Dies wurde zum Leitspruch meines Vaters. Es gefiel ihm sehr gut. Er wurde wieder gefoltert, als er als Lagerarzt in altdeutscher Schrift "Hungerödeme" auf die vielen Leichenschauscheine schrieb, die ans Rote Kreuz gingen. Nach einer Inspektion des Lagers durch das Rote Kreuz wurde das Essen gerecht verteilt und plötzlich starben keine Gefangenen mehr durch Hunger - jedoch wurden viele zerfetzt durch die Minen, die sie suchen und unschädlich machen mussten. Nach Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft 1947 bemühte er sich intensiv um die psychischen Beschwerden seiner Patienten. Er beobachtete, dass diejenigen viel nervöser waren, die an vielbefahrenen Straßen oder in Pressspanverkleideten Zimmern lebten. Dann kam "Omca, die Pille für die Psyche" und "Valium, zur Beruhigung der Nerven" auf. Jeder Hausarzt verschrieb allen Patienten "ihre Nervenpille". Vom Rheuma, bis zum Asthma, von der Schlafstörung bis zum Zittern, jeder erhielt dieselbe Pille und immer mehr. Eine "Sprechstunde" bestand eigentlich nur in der Befragung, welches Medikament man heute verschrieben haben wollten. Der Arzt bekam - gleich, was er machte - eine Scheinpauschale im Vierteljahr von 5.-DM. Das muss man wissen, wenn man hört, dass manche Patienten eine Stunde und länger im Sprechzimmer sich ausredeten oder ausweinten.

Immer mehr Patienten kamen mit seelischen Problemen, die langen Wartezeiten vertrieben die akut Erkrankten aus der Praxis. Der Vater wurde durch die pausenlosen Gespräche immer nervöser und strapazierte sich.

Sein Psychiater - Kollege machte nur EEG und verschrieb Valium, die "abgeschobenen" Patienten kamen wieder unzufrieden zurück.

Eines Tages erzählte mir mein Vater: "Ich glaube, es war der größte Fehler der Medizin, allen Kranken Psychopharmaka zu geben, anstelle auf ihre Probleme einzugehen. Wer einmal Psychopharmaka bekam, kommt nicht mehr davon los - wie beim Rauchen. Reden unter Psychopharmaka bringt nichts mehr. Absetzen tut sie auch keiner".

Noch 1977, als ich einen großen Vortrag in Neuburg an der Donau hielt und sagte, dass man wegen der Suchtgefahr möglichst kein Valium u.a. verschreiben sollte, wurde ich von Hunderten Landärzten niedergebrüllt, die riefen, dass "es jeder braucht und ich als Universitätstheoretiker den Mund halten sollte". Ich musste damals den Vortrag abbrechen.

Da er es gelernt hatte, machte er anfangs bei Privaten manchmal eine homöopathische Anamnese. Er sagte, dies kann bis zu 8 Stunden dauern. Wenn er gut war, fand er ein Mittel in einer Potenz und wenn alles stimmte, wurde der Kranke gesund. Später musste er viel hetzen und fühlte sich selbst sehr krank, sodass er keine Zeit und Kraft mehr hatte für eine klassische Homöopathie. Je besser die Leute verdienten, desto ungeduldiger waren sie in der Arztpraxis.

Hinzu kam das Gefühl, dass nur etwas half, wofür die Krankenkasse viel bezahlen musste - quasi als Strafe für die eigene Krankheit.

Wir Kinder halfen in der Praxis aus. Ab meinem 6.Lebensjahr bediente ich mit sonorer Stimme das Telefon und entschied aufgrund meiner Erfahrungen am Mittagstisch für wen Vater oder Mutter da waren oder nicht. Ab dem 10.Lebensjahr öffnete ich außerhalb der Sprechzeiten die Türe und führte dieselben Entscheidungen weiter.

Ab dem 14.Lebensjahr erlernte ich bei Kursen EKG anzulegen und auszuwerten. Vater kaufte damals als erster niedergelassener Arzt ein mobiles EKG von Siemens. Vater war darüber sehr froh und fast alle Patienten mit einer "Herzneurose", also vermeintlich eingebildete Kranke, hatten schwere organische Veränderungen wie Schenkelblöcke, Herzrhythmusstörungen, T-Veränderungen und andere Durchblutungsbedingte Organschäden. Der Vater eines 14 jährigen Nachbarmädchens, das ich wegen ihrer Reifröcke sehr verehrte war bei Allianz in der Beschwerdeabteilung und regte sich sehr auf und klagte über dauernde Herzschmerzen. Man fand auch im EKG nie etwas. Als meine Eltern gerade fort waren, läutete er  ganz zaghaft und ging leise und vorsichtig zur Türe herein, nicht klagsam. Sofort wusste ich, das ist was Besonderes. Ich schrieb ihm eigenmächtig mit 15 Jahren ein EKG. Dort fand ich einen schweren akuten Herzinfarkt. Damals bekamen nur Ärzte ein Klinikbett von der Bettenzentrale. Wie gewohnt rief ich unter dem Namen meines Vaters an, bekam es sofort und mit Blaulicht kam der Kranke in die beste Klinik. Er überlebte und war mir sehr dankbar, da ihm jeder sagte, was für ein Riesenglück er hatte, denn es war ein riesiger Infarkt. Das erhöhte meinen Ruf in  der Gegend ungemein. Zum Vater kamen daraufhin viele Herzkranke.

Daraufhin wertete ich auch für die Tante und andere Ärzte das EKG aus. Ab dem 18.Lebensjahr führte mein Bruder Laboruntersuchungen am Photometer durch und wollte Kardiologe werden. Die Ausbildung dazu schloss er aber nicht ab.

Psychogifte Teil 1 von 2 = http://video.google.de/videoplay?docid=3215126134864161144
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(Auszug aus meiner neuen Biografie)