1960 Mutter an allem Schuld Grundlage der Psychoanalyse

Vater und Mutter waren der Ansicht, dass jeder, der ein guter Arzt werden wollte eine gute Ausbildung in der Psychoanalyse haben sollte - etwas, was ihnen in den 30er Jahren völlig fehlte.

Damals gab es nur "organische Krankheiten" - bei psychischen Störungen waren es Angeborene ( Hitler: "minderwertiges Erbgut" ) oder durch Virusinfektionen erworbene Hirnstörungen. Freud hielten sie für einen Sexisten, aber der modifizierte Umgang mit der Erkennung und verhaltenstherapeutischen Beseitigung von psychischen Auffälligkeit schien Ihnen in den 60er, dem ersten massiven Auftreten von psychischen Störungen durch Umweltgifte dringend erforderlich. Sie arbeiteten zum Teil erfolgreich mit dem Leiter der psychotherapeutischen Gesellschaft, Dr. Fleischer in München zusammen, der auch die Befähigung für eine Lehranalyse hatte. Diese  kostete etwa das Zehnfache eines gesamten Medizinstudiums. Damals zahlten Krankenkassen dafür auch nichts. Ärzte waren ohnehin nie krankenversichert. Das Geld zahlten meine Eltern gerne. Sie hielten es zum Aufarbeiten der vielen Nachkriegsprobleme für sehr wichtig:

Kleinkinder, die oft in der Nacht schrieen und weinten: "ich höre wieder die Sirenen, müssen wir wieder in den Luftschutzkeller, brennt dann unser Haus ab?", dann das extreme Hungern der Stadtkinder nach dem Krieg, der Vater 4 Jahre vermisst und danach aus der Kriegsgefangenschaft als Fremder zurückgekehrt, dann der Wiederaufbau bei dem die Kinder bei der vielen Arbeit oft störten.

Der Ausblick vielen Geschädigten helfen zu können, ließ mir den Aufwand gerechtfertigt erscheinen. Aber schon zu Beginn traten Streitfragen auf, deren Klärung offen blieb. Der Therapeut glaubte, dass nur eine privat mit 200.- DM (1963) bezahlte Analysestunde erfolgreich sei und eine Kassenübernahme zum Scheitern führe, ich glaubte, dass gerade arme Kassenpatienten am meisten profitieren würden.

Die Familien- und Eigenanalyse verlief gut. Dramatisch wurde der Verlauf, als der Therapeut seine eigenen Vorstellungen mir aufzwingen wollte. Anfangs reagierte ich mit Selbstmordgedanken, nach jeder Stunde wollte ich mir das Leben nehmen. Dann ging ich nur noch einmal im Monat dorthin. Zu Ende ging die fruchtlose Diskutiererei, als er mir 20 jährigen vorwarf, dass ich zuwenig Distanz zu den Mitmenschen habe. Er säße mit seiner Frau - ebenfalls eine erfolgreiche Psychotherapeutin - abends im Riesen - Wohnzimmer 5 Meter (!) voneinander entfernt in Lehnstühlen und diskutiere mit ihr. Ich erklärte dass ich am liebsten mit meiner Freundin eng umschlungen küssend und händchenhaltend im Auto über schöne Sachen schwärme und, dass ich schnell meine Mitmenschen für sympathisch empfinde und jedem helfen möchte. Wie eine Platte mit Sprung kam er monoton immer auf dieses Thema zu sprechen und wollte einfach nicht glauben, dass ein 20 Jähriger anders leben kann als ein frustrierter 55 Jähriger. Ich erklärte unter Protest, dass ich die Psychoanalyse als den größten Betrug der Medizin im 19. Jahrhundert empfinde und ging nicht mehr hin.

(Auszug aus meiner neuen Biografie)