EHEC

Medizinalkohle - das älteste und wichtigste Gegengift

Von Dr. M. Daunderer

 

Tierkohle wurde im Altertum wie heute als Adsorbens und Entfärber verwendet. Sie wird aus Knochen gewonnen, hat mit 10 - 15% einen geringen Gehalt an Kohlenstoff und eine wesentlich geringere Adsorptionskraft als Kohle aus pflanzlichen Materialien. Sie kann bei einigen Vergiftungen toxisch wirken, wie z.B.: bei der Alkoholvergiftung, bei der Aldehyde und Ketone aus der Tierkohle gelöst und resorbiert werden, oder bei der Blausäure-Vergiftung.

 

Die Anwendung von Tierkohle als Gegengift sollte daher heute generell unterbleiben.

 

Beschaffenheit

 

Medizinalkohle wird durch Verkohlung von pflanzlichen Materialien, wie Holz (speziell Lindenholz), Kokosnussschalen oder Moosen, gewonnen, besteht zu 90% aus Kohlenstoff und wird durch gesättigten Wasserdampf oder Kohlendioxid bei hoher Hitze gereinigt und aktiviert. Es kommt hierbei zum Anfressen der Oberfläche, die Kohle-Körnchen sind danach von feinsten Kapillaren durchzogen, die Oberfläche der Kohle-Partikel liegt bei etwa 1500 m2/g.

 

Die große Oberfläche ermöglicht eine große Bindungskapazität. Die Teilchengröße und die Porenweite von 20 - 500 Å bestimmen die Penetration und damit die Geschwindigkeit der Adsorption. Das Pulver ist schwarz, geruch- und geschmacklos, in Wasser und Ethylalkohol unlöslich.

 

Wirkungscharakter

 

Medizinalkohle adsorbiert in Flüssigkeiten und Gasen gelöste Teilchen und entfernt sie somit aus denselben. Adsorption ist die Bindung gelöster Stoffe an Grenzflächen zwischen festen und flüssigen Medien. Es besteht ein labiles Gleichgewicht zwischen Adsorption und Desorption. Diese Gleichgewichtsreaktion ist nach einer Minute zu mehr als 90% abgelaufen. Nach 24 - 48 Stunden wird der stabile Kohle-Gift-Komplex durch kompetitive Einflüsse und pH-Wert-Änderungen in den tieferen Darmabschnitten wieder gelöst. Durch die Zugabe des Laxans Natriumsulfat (Glaubersalz) wird die Passagezeit des Kohle-Gift-Komplexes im Darm auf ein Minimum reduziert.

 

Medizinalkohle ist atoxisch, sie kann nicht überdosiert, sondern höchstens unterdosiert werden. Die Dosierung richtet sich nicht nur nach der zu erwartenden adsorbierenden Giftmenge, sondern auch nach dem Magen-Darm-Inhalt, der ebenfalls adsorbiert wird. Es wurden Einmalgaben bis zu 100 g gegeben. Kohle adsorbiert nicht nur chemische Gifte, sondern auch Bakterien und Bakterientoxine (Staphylokokken-Enterotoxin), Bilirubin, Vitamine, Verdauungsenzyme, Aminosäuren und andere Nahrungsbestandteile. Jegliche orale Medikation muss daher für die Dauer der Kohle-Passage durch den Magen-Darm-Trakt unterbleiben.

 

Medizinalkohle reagiert neutral. pH-Veränderungen beeinflussen jedoch die Adsorptionskraft von Kohle: Salizylsäure wird im sauren Milieu des Magens besser adsorbiert als im alkalischen Milieu des Darms. Durch Magensaft, Nahrungsmittel, Bilirubin und Lipide der Galle wird ein großer Teil der Kohle-Oberfläche besetzt.

 

Feinstkörnige wässrige Suspensionen (Kohle-Pulvis*) adsorbieren Gifte wesentlich schneller (90% in 1 min) als Kohle-Tabletten (2 Std.), die erst völlig aufgelöst und suspendiert werden müssen. Frisch zubereitete Kohle-Suspensionen besitzen im Vergleich zu länger aufbewahrten Kohle-Suspensionen keine höheren adsorptiven Eigenschaften.

 

Die größte Adsorptionskraft der Kohle-Zubereitungen verschiedener Hersteller zeigen Kohle-Kompretten bzw. Kohle-Pulvis. Aus technischen Gründen wird bei der Intensivbehandlung Vergifteter, bei der Antidot-Behandlung oraler Vergiftungen in der Arztpraxis, bei Massenvergiftungen am Unfallort oder bei Anwendung durch Laien die praktische Anwendung von Kohle-Pulvis in der Plastikdose der umständlichen Zubereitung der einzeln verpackten Kohle-Kompretten vorgezogen. Die negativen Erfahrungen mit der zeitraubenden Zubereitung der Kohle-Suspension aus Kompretten haben uns veranlasst, die Herstellung der praktischen Einmal-Applikationsform im Schraubbecher anzuregen.

 

Alternative Adsorbentien

 

Medizinalkohle ist bei den meisten Vergiftungen anderen Adsorbentien, wie Bolus alba, Cholestyramin, Kaolin, Talk, Milchpulver oder Alasksan montmorillonte (Bentonit, Kaolin und Magnesiumtrisilikat), überlegen. Bentonit oder Amberlit sind lediglich bei der Paraquat-Vergiftung der Kohle etwas überlegen. Cholestyramin ist bei der Digitalis- und Acetaminophen-Vergiftung Kohle geringfügig überlegen. Im Universal-Antidot wird ein großer Teil der Adsorptionskraft von Kohle durch Tannin blockiert, es ist daher schlechter als reine Kohle.

 

Wirkzeit

 

Viele oral eingenommenen Gifte halten sich oft erstaunlich lange, ja sogar einige Tage lang im Magen-Darm-Trakt auf. Viele Gifte, wie Schlafmittel, Thallium, trizyklische Antidepressiva, Digitalis und Opiate, haben einen enterohepatischen Kreislauf, d.h. die resorbierten Gifte werden in der Leber abgebaut und zum Teil über die Galle wieder in wirksamer Form in das Duodenum gebracht. Hier kann die wiederholte Kohle-Gabe eine erneute Resorption unterbrechen und die Halbwertszeit erheblich reduzieren (Alternative zur Hämoperfusion).

 

Tab. 1: Adsorptionskapazität von Medizinalkohle

 

sehr stark werden

adsorbiert:

 

Amphetamin                                       Diphenylhydantoin

Antiepileptika                                     Ergotamin

Atropin                                               Jod

Benzodiazepine                                 Opiate

Bisacodyl                                          Phenol

Colchizin                                            Pilzgifte

Digitalis                                              Polyäthylenglykol

                                                         Psychopharmaka (trizykl.)

 

stark werden adsorbiert:

 

Chinidin                                             Ipecacuanha-Sirup

Chinin                                                Schlafmittel (Gluthetimid)

Chloroquin                                         Tenside

 

mäßig werden adsorbiert:

 

Blausäure                                          Ethanol

Borsäure                                            Ethylenglykol

Cyanide                                             Lösungsmittel

DDT                                                   Methylalkohol

Eisensalze                                         Schädlingsbekämpfungsmittel (Alkylphosphate, Carbamate)

 

nicht adsorbiert werden:

 

Mineralsäuren                                    in Wasser unlösliche Stoffe

mineralische Laugen                          (z.B. Tolbutamid)

 

Dauertherapie

 

Kohle wird auch in extrem hohen Dosen von z.B. 100 g gut vertragen. Lediglich eine wochenlange Dauertherapie unter oraler Ernährung könnte zu Vitamin- und Eiweiß-Mangelerscheinungen führen. Eine Inhalation von Kohle-Staub oder Aspiration von Kohle-Suspension ist völlig ungefährlich.

 

Kohle-Zeit

 

Die Zeitspanne, die zwischen der oralen Gabe und dem Auftreten der Kohle im Stuhl verstreicht, wird als Kohle-Zeit bezeichnet. Sie dient zur Beobachtung der Darmpassage des Giftes. Wenn die Kohle im Stuhl auftritt, hat bei genügend hoher Kohle-Dosierung der nicht aus dem Darm resorbierte Giftanteil den Körper verlassen. Eine Abführmittelzugabe verkürzt die Kohle-Zeit.

 

Indikationen

 

Tenside in Wasch- und Reinigungsmitteln werden stark adsorbiert. Die Adsorptionskraft von Medizinalkohle bei Paraquat-Vergiftungen wird von Amberlit, Bentonit oder Fullers Earth deutlich übertroffen, ist jedoch der Gartenerde weit überlegen.

 

Organische Lösungsmittel, wie Benzol, Diethylamin, Tetrachlorethan, Tetrachlorkohlenstoff u.a., werden von Medizinalkohle fast ebenso gut adsorbiert wie von Paraffinöl.

 

Pilzgifte und andere giftige Nahrungsbestandteile (Histamin, Proteus, Cholera-Vibrionen) werden von Medizinalkohle hervorragend adsorbiert. Schädlingsbekämpfungsmittel, wie Alkylphosphate und Carbamate, werden zwar an Kohle adsorbiert, infolge der darmlähmenden Wirkung der bei Vergiftungen angewandten hochdosierten Antidot-Therapie mit Atropin empfiehlt sich hier anfangs die Zugabe von Natriumbikarbonat zum Magenspülwasser bzw. zum hohen Darmeinlauf zur Inaktivierung der Gifte und erst später die wiederholte Gabe von Kohle.

 

Alkohol, Methylalkohol und Ethylenglykol werden zwar leicht an Medizinalkohle adsorbiert, aber auch rasch wieder desorbiert.

 

Klinisch bewährt hat sich die wiederholte Anwendung von Kohle über die Magensonde, z.B. bei Pankreatitis, Hypothermie oder paralytischem Ileus, zur Verhinderung eines Endotoxin-Schocks. Medizinalkohle bindet hier toxische Abbauprodukte im Darm, die eine schädigende Wirkung auf parenchymatöse Organe haben können. Die älteste Indikation für Kohle, die Reduktion der Flatulenz, wird über die Adsorption der sie erzeugenden Bakterien erklärt.

 

Wirkungslosigkeit

 

Praktisch nicht an Kohle adsorbiert werden Mineralsäuren, Natriumsulfat, Natriumhydroxid, Kaliumhydroxid und in Wasser unlösliche Substanzen wie Tolbutamid. Schlecht adsorbiert werden Eisensulfat, Malathion, DDT, N-MEthylcarbamat, Borsäure und Thallium. Blausäure wird ebenfalls kaum von Kohle adsorbiert und hebt zugleich die adsorptive Wirkung von Kohle auf. Bei der Herstellung von Medizinalkohle ist daher auf die Freiheit von Blausäure zu achten.

 

Kontraindikation

 

Es gibt keine Kontraindikation für die orale Anwendung von Medizinalkohle. Nach Ätzmittel-Ingestion ist eine Kohle-Gabe wirkungslos und damit sinnlos. Bei Agitation oder Benommenheit fehlt ohnehin die Kooperation des Patienten. Eine Aspiration wäre nicht gefährlich.

 

Alternative zum Erbrechen

 

Ein Salzwasser-Erbrechen kann durch eine Natrium-Vergiftung gefährlich, ja sogar tödlich sein. Ein Apomorphin-Erbrechen kann wegen Kreislaufnebenwirkungen, Ipecacuanha-Erbrechen wegen Wirkungslosigkeit oder Gefahr zerebraler Nebenwirkungen bei Überdosierung gefährlich sein. Außerdem erfolgt die Entleerung des Magens nach einmaliger Füllung vor dem Erbrechen insuffizient.

 

In allen Fällen ist hier die orale Gabe von Aktivkohle schneller wirksam, effektiver und gefahrloser. Selbst nach einer Magenspülung, die lege artis mit 40 Litern Wasser durchgeführt wurde, müssen die Giftreste aus dem Magen und den tieferen Darmabschnitten durch Kohle gebunden werden.

 

Durch die sofortige Gabe von Kohle am Unfallort bei ansprechbaren und kooperativen Patienten kann in leichteren Fällen ein provoziertes Erbrechen erspart werden, in ernsteren Fällen nach vermutlicher Aufnahme toxischer Giftmengen kann sich in der Klinik die Magenspülung anschließen.

 

In den Fällen, in denen früher an ein provoziertes Erbrechen als Erstmaßnahme gedacht wurde, empfiehlt sich heute die Kohle-Gabe in ausreichender Menge und rascher Zubereitung.

 

Dosierung

 

Die Dosierung bei oraler Applikation muss etwa 10fach höher liegen als in vitro für die aufgenommene Giftmenge berechnet, da die Kohle den gesamten Magen-Darm-Inhalt adsorbiert; 100fache Dosen sind jedoch auch vertretbar.

 

Als einmalige Dosis sollte bei jedem Vergiftungsverdacht nach oraler Giftaufnahme eine Einzeldosis von 10 g Kohle-Pulvis bei Erwachsenen, etwa die Hälfte bei Kindern und etwa ¼  bei Säuglingen eingegeben werden.

 

Viele Gifte, wie Schlafmittel, Thallium, Morphium, Knollenblätterpilze, haben eine Rezirkulation oder einen enterohepatischen Kreislauf; hier ist 4- oder 6stündlich die Wiederholung der ersten Kohle-Gabe indiziert. Auch die rektale Applikation von Kohle ist insbesondere bei Giften mit einer schnellen Magen-Darm-Passage, wie Alkylphosphate oder Schwermetalle, indiziert.

 

Natriumsulfat-Gabe

 

Nicht die Kohle, jedoch die Giftwirkung (Schlafmittel) oder das plötzliche Wegbleiben einer Giftwirkung (Staphylokokken-Enterotoxin) führen zur Obstipation. Da der Kohle-Gift-Komplex jedoch nach einiger Zeit, spätestens nach 48 Stunden unter Freigabe des toxischen Substrats wieder zerfällt, muss er den Magen-Darm-Trakt möglichst rasch verlassen. Die Zugabe eines Laxans, das nicht an die Kohle absorbiert wird, wie Natriumsulfat (Glaubersalz) - nicht Magnesiumsulfat, das durch die resorptive Wirkung von Magnesium zu einer Schlafmittel-Vergiftungssymptomatik führen kann - , ist hier nötig.

 

Zusammen oder im Anschluss an die erste Dosis kann - mit Ausnahme einer schweren Diarrhoe bei Schwermetall- oder Nahrungsmittelvergiftungen - das salinische Abführmittel Natriumsulfat (Glaubersalz, 2 Esslöffel bei Erwachsenen, die Hälfte bei Kindern, ¼ bei Säuglingen) in Wasser aufgelöst oder bei fettlöslichen Giften Paraffinöl (1,5 ml/kg Körpergewicht) eingegeben werden.

 

Bei anhaltender Obstipation durch die darmlähmende Wirkung mancher Gifte (Schlafmittel, Psychopharmaka, Atropin) ist auch ein Laxans, wie Natriumsulfat, wirkungslos, und nach einmaliger Applikation wird nur reine Medizinalkohle gegeben.

 

Bevorratung

 

In der Hausapotheke, in der Betriebsapotheke und in der Notfalltasche des Arztes sollte Kohle-Pulvis vorrätig sein. Für den Fall einer Massenvergiftung durch verdorbene Lebensmittel sollte in jedem Betrieb für jeden kantinenverpflegten Betriebsangehörigen eine Einzeldosis Kohle-Pulvis bereitgehalten werden.

 

Ein Kreiskrankenhaus sollte für einen Einzugsbereich von je 50000 Einwohnern je 200 Einzeldosen bereithalten. Lagerungs- und Haltbarkeitsprobleme gibt es nicht, da dieses Gegengift unbegrenzt haltbar ist.

 

Zusammenfassung

 

Die orale Antidot-Therapie mit Medizinalkohle ist nach oraler Giftaufnahme außerordentlich effizient und gerade für Laien im Verdachtsfalle leicht anwendbar. Es gibt keine Kontraindikationen. Die Unterlassung dieser Therapie kann als ärztlicher Kunstfehler gewertet werden. Kohle ist das wichtigste Antidot einer Hausapotheke.

 

Quelle: Autorisierter Sonderdruck aus „Fortschritte der Medizin“, 15/83: 697-700, 101. Jahrgang

Medizinalkohle - das älteste und wichtigste Gegengift

Von Dr. M. Daunderer

 

Tierkohle wurde im Altertum wie heute als Adsorbens und Entfärber verwendet. Sie wird aus Knochen gewonnen, hat mit 10 - 15% einen geringen Gehalt an Kohlenstoff und eine wesentlich geringere Adsorptionskraft als Kohle aus pflanzlichen Materialien. Sie kann bei einigen Vergiftungen toxisch wirken, wie z.B.: bei der Alkoholvergiftung, bei der Aldehyde und Ketone aus der Tierkohle gelöst und resorbiert werden, oder bei der Blausäure-Vergiftung.

 

Die Anwendung von Tierkohle als Gegengift sollte daher heute generell unterbleiben.

 

Beschaffenheit

 

Medizinalkohle wird durch Verkohlung von pflanzlichen Materialien, wie Holz (speziell Lindenholz), Kokosnussschalen oder Moosen, gewonnen, besteht zu 90% aus Kohlenstoff und wird durch gesättigten Wasserdampf oder Kohlendioxid bei hoher Hitze gereinigt und aktiviert. Es kommt hierbei zum Anfressen der Oberfläche, die Kohle-Körnchen sind danach von feinsten Kapillaren durchzogen, die Oberfläche der Kohle-Partikel liegt bei etwa 1500 m2/g.

 

Die große Oberfläche ermöglicht eine große Bindungskapazität. Die Teilchengröße und die Porenweite von 20 - 500 Å bestimmen die Penetration und damit die Geschwindigkeit der Adsorption. Das Pulver ist schwarz, geruch- und geschmacklos, in Wasser und Ethylalkohol unlöslich.

 

Wirkungscharakter

 

Medizinalkohle adsorbiert in Flüssigkeiten und Gasen gelöste Teilchen und entfernt sie somit aus denselben. Adsorption ist die Bindung gelöster Stoffe an Grenzflächen zwischen festen und flüssigen Medien. Es besteht ein labiles Gleichgewicht zwischen Adsorption und Desorption. Diese Gleichgewichtsreaktion ist nach einer Minute zu mehr als 90% abgelaufen. Nach 24 - 48 Stunden wird der stabile Kohle-Gift-Komplex durch kompetitive Einflüsse und pH-Wert-Änderungen in den tieferen Darmabschnitten wieder gelöst. Durch die Zugabe des Laxans Natriumsulfat (Glaubersalz) wird die Passagezeit des Kohle-Gift-Komplexes im Darm auf ein Minimum reduziert.

 

Medizinalkohle ist atoxisch, sie kann nicht überdosiert, sondern höchstens unterdosiert werden. Die Dosierung richtet sich nicht nur nach der zu erwartenden adsorbierenden Giftmenge, sondern auch nach dem Magen-Darm-Inhalt, der ebenfalls adsorbiert wird. Es wurden Einmalgaben bis zu 100 g gegeben. Kohle adsorbiert nicht nur chemische Gifte, sondern auch Bakterien und Bakterientoxine (Staphylokokken-Enterotoxin), Bilirubin, Vitamine, Verdauungsenzyme, Aminosäuren und andere Nahrungsbestandteile. Jegliche orale Medikation muss daher für die Dauer der Kohle-Passage durch den Magen-Darm-Trakt unterbleiben.

 

Medizinalkohle reagiert neutral. pH-Veränderungen beeinflussen jedoch die Adsorptionskraft von Kohle: Salizylsäure wird im sauren Milieu des Magens besser adsorbiert als im alkalischen Milieu des Darms. Durch Magensaft, Nahrungsmittel, Bilirubin und Lipide der Galle wird ein großer Teil der Kohle-Oberfläche besetzt.

 

Feinstkörnige wässrige Suspensionen (Kohle-Pulvis*) adsorbieren Gifte wesentlich schneller (90% in 1 min) als Kohle-Tabletten (2 Std.), die erst völlig aufgelöst und suspendiert werden müssen. Frisch zubereitete Kohle-Suspensionen besitzen im Vergleich zu länger aufbewahrten Kohle-Suspensionen keine höheren adsorptiven Eigenschaften.

 

Die größte Adsorptionskraft der Kohle-Zubereitungen verschiedener Hersteller zeigen Kohle-Kompretten bzw. Kohle-Pulvis. Aus technischen Gründen wird bei der Intensivbehandlung Vergifteter, bei der Antidot-Behandlung oraler Vergiftungen in der Arztpraxis, bei Massenvergiftungen am Unfallort oder bei Anwendung durch Laien die praktische Anwendung von Kohle-Pulvis in der Plastikdose der umständlichen Zubereitung der einzeln verpackten Kohle-Kompretten vorgezogen. Die negativen Erfahrungen mit der zeitraubenden Zubereitung der Kohle-Suspension aus Kompretten haben uns veranlasst, die Herstellung der praktischen Einmal-Applikationsform im Schraubbecher anzuregen.

 

Alternative Adsorbentien

 

Medizinalkohle ist bei den meisten Vergiftungen anderen Adsorbentien, wie Bolus alba, Cholestyramin, Kaolin, Talk, Milchpulver oder Alasksan montmorillonte (Bentonit, Kaolin und Magnesiumtrisilikat), überlegen. Bentonit oder Amberlit sind lediglich bei der Paraquat-Vergiftung der Kohle etwas überlegen. Cholestyramin ist bei der Digitalis- und Acetaminophen-Vergiftung Kohle geringfügig überlegen. Im Universal-Antidot wird ein großer Teil der Adsorptionskraft von Kohle durch Tannin blockiert, es ist daher schlechter als reine Kohle.

 

Wirkzeit

 

Viele oral eingenommenen Gifte halten sich oft erstaunlich lange, ja sogar einige Tage lang im Magen-Darm-Trakt auf. Viele Gifte, wie Schlafmittel, Thallium, trizyklische Antidepressiva, Digitalis und Opiate, haben einen enterohepatischen Kreislauf, d.h. die resorbierten Gifte werden in der Leber abgebaut und zum Teil über die Galle wieder in wirksamer Form in das Duodenum gebracht. Hier kann die wiederholte Kohle-Gabe eine erneute Resorption unterbrechen und die Halbwertszeit erheblich reduzieren (Alternative zur Hämoperfusion).

 

Tab. 1: Adsorptionskapazität von Medizinalkohle

 

sehr stark werden

adsorbiert:

 

Amphetamin                                       Diphenylhydantoin

Antiepileptika                                     Ergotamin

Atropin                                               Jod

Benzodiazepine                                 Opiate

Bisacodyl                                          Phenol

Colchizin                                            Pilzgifte

Digitalis                                              Polyäthylenglykol

                                                         Psychopharmaka (trizykl.)

 

stark werden adsorbiert:

 

Chinidin                                             Ipecacuanha-Sirup

Chinin                                                Schlafmittel (Gluthetimid)

Chloroquin                                         Tenside

 

mäßig werden adsorbiert:

 

Blausäure                                          Ethanol

Borsäure                                            Ethylenglykol

Cyanide                                             Lösungsmittel

DDT                                                   Methylalkohol

Eisensalze                                         Schädlingsbekämpfungsmittel (Alkylphosphate, Carbamate)

 

nicht adsorbiert werden:

 

Mineralsäuren                                    in Wasser unlösliche Stoffe

mineralische Laugen                          (z.B. Tolbutamid)

 

Dauertherapie

 

Kohle wird auch in extrem hohen Dosen von z.B. 100 g gut vertragen. Lediglich eine wochenlange Dauertherapie unter oraler Ernährung könnte zu Vitamin- und Eiweiß-Mangelerscheinungen führen. Eine Inhalation von Kohle-Staub oder Aspiration von Kohle-Suspension ist völlig ungefährlich.

 

Kohle-Zeit

 

Die Zeitspanne, die zwischen der oralen Gabe und dem Auftreten der Kohle im Stuhl verstreicht, wird als Kohle-Zeit bezeichnet. Sie dient zur Beobachtung der Darmpassage des Giftes. Wenn die Kohle im Stuhl auftritt, hat bei genügend hoher Kohle-Dosierung der nicht aus dem Darm resorbierte Giftanteil den Körper verlassen. Eine Abführmittelzugabe verkürzt die Kohle-Zeit.

 

Indikationen

 

Tenside in Wasch- und Reinigungsmitteln werden stark adsorbiert. Die Adsorptionskraft von Medizinalkohle bei Paraquat-Vergiftungen wird von Amberlit, Bentonit oder Fullers Earth deutlich übertroffen, ist jedoch der Gartenerde weit überlegen.

 

Organische Lösungsmittel, wie Benzol, Diethylamin, Tetrachlorethan, Tetrachlorkohlenstoff u.a., werden von Medizinalkohle fast ebenso gut adsorbiert wie von Paraffinöl.

 

Pilzgifte und andere giftige Nahrungsbestandteile (Histamin, Proteus, Cholera-Vibrionen) werden von Medizinalkohle hervorragend adsorbiert. Schädlingsbekämpfungsmittel, wie Alkylphosphate und Carbamate, werden zwar an Kohle adsorbiert, infolge der darmlähmenden Wirkung der bei Vergiftungen angewandten hochdosierten Antidot-Therapie mit Atropin empfiehlt sich hier anfangs die Zugabe von Natriumbikarbonat zum Magenspülwasser bzw. zum hohen Darmeinlauf zur Inaktivierung der Gifte und erst später die wiederholte Gabe von Kohle.

 

Alkohol, Methylalkohol und Ethylenglykol werden zwar leicht an Medizinalkohle adsorbiert, aber auch rasch wieder desorbiert.

 

Klinisch bewährt hat sich die wiederholte Anwendung von Kohle über die Magensonde, z.B. bei Pankreatitis, Hypothermie oder paralytischem Ileus, zur Verhinderung eines Endotoxin-Schocks. Medizinalkohle bindet hier toxische Abbauprodukte im Darm, die eine schädigende Wirkung auf parenchymatöse Organe haben können. Die älteste Indikation für Kohle, die Reduktion der Flatulenz, wird über die Adsorption der sie erzeugenden Bakterien erklärt.

 

Wirkungslosigkeit

 

Praktisch nicht an Kohle adsorbiert werden Mineralsäuren, Natriumsulfat, Natriumhydroxid, Kaliumhydroxid und in Wasser unlösliche Substanzen wie Tolbutamid. Schlecht adsorbiert werden Eisensulfat, Malathion, DDT, N-MEthylcarbamat, Borsäure und Thallium. Blausäure wird ebenfalls kaum von Kohle adsorbiert und hebt zugleich die adsorptive Wirkung von Kohle auf. Bei der Herstellung von Medizinalkohle ist daher auf die Freiheit von Blausäure zu achten.

 

Kontraindikation

 

Es gibt keine Kontraindikation für die orale Anwendung von Medizinalkohle. Nach Ätzmittel-Ingestion ist eine Kohle-Gabe wirkungslos und damit sinnlos. Bei Agitation oder Benommenheit fehlt ohnehin die Kooperation des Patienten. Eine Aspiration wäre nicht gefährlich.

 

Alternative zum Erbrechen

 

Ein Salzwasser-Erbrechen kann durch eine Natrium-Vergiftung gefährlich, ja sogar tödlich sein. Ein Apomorphin-Erbrechen kann wegen Kreislaufnebenwirkungen, Ipecacuanha-Erbrechen wegen Wirkungslosigkeit oder Gefahr zerebraler Nebenwirkungen bei Überdosierung gefährlich sein. Außerdem erfolgt die Entleerung des Magens nach einmaliger Füllung vor dem Erbrechen insuffizient.

 

In allen Fällen ist hier die orale Gabe von Aktivkohle schneller wirksam, effektiver und gefahrloser. Selbst nach einer Magenspülung, die lege artis mit 40 Litern Wasser durchgeführt wurde, müssen die Giftreste aus dem Magen und den tieferen Darmabschnitten durch Kohle gebunden werden.

 

Durch die sofortige Gabe von Kohle am Unfallort bei ansprechbaren und kooperativen Patienten kann in leichteren Fällen ein provoziertes Erbrechen erspart werden, in ernsteren Fällen nach vermutlicher Aufnahme toxischer Giftmengen kann sich in der Klinik die Magenspülung anschließen.

 

In den Fällen, in denen früher an ein provoziertes Erbrechen als Erstmaßnahme gedacht wurde, empfiehlt sich heute die Kohle-Gabe in ausreichender Menge und rascher Zubereitung.

 

Dosierung

 

Die Dosierung bei oraler Applikation muss etwa 10fach höher liegen als in vitro für die aufgenommene Giftmenge berechnet, da die Kohle den gesamten Magen-Darm-Inhalt adsorbiert; 100fache Dosen sind jedoch auch vertretbar.

 

Als einmalige Dosis sollte bei jedem Vergiftungsverdacht nach oraler Giftaufnahme eine Einzeldosis von 10 g Kohle-Pulvis bei Erwachsenen, etwa die Hälfte bei Kindern und etwa ¼  bei Säuglingen eingegeben werden.

 

Viele Gifte, wie Schlafmittel, Thallium, Morphium, Knollenblätterpilze, haben eine Rezirkulation oder einen enterohepatischen Kreislauf; hier ist 4- oder 6stündlich die Wiederholung der ersten Kohle-Gabe indiziert. Auch die rektale Applikation von Kohle ist insbesondere bei Giften mit einer schnellen Magen-Darm-Passage, wie Alkylphosphate oder Schwermetalle, indiziert.

 

Natriumsulfat-Gabe

 

Nicht die Kohle, jedoch die Giftwirkung (Schlafmittel) oder das plötzliche Wegbleiben einer Giftwirkung (Staphylokokken-Enterotoxin) führen zur Obstipation. Da der Kohle-Gift-Komplex jedoch nach einiger Zeit, spätestens nach 48 Stunden unter Freigabe des toxischen Substrats wieder zerfällt, muss er den Magen-Darm-Trakt möglichst rasch verlassen. Die Zugabe eines Laxans, das nicht an die Kohle absorbiert wird, wie Natriumsulfat (Glaubersalz) - nicht Magnesiumsulfat, das durch die resorptive Wirkung von Magnesium zu einer Schlafmittel-Vergiftungssymptomatik führen kann - , ist hier nötig.

 

Zusammen oder im Anschluss an die erste Dosis kann - mit Ausnahme einer schweren Diarrhoe bei Schwermetall- oder Nahrungsmittelvergiftungen - das salinische Abführmittel Natriumsulfat (Glaubersalz, 2 Esslöffel bei Erwachsenen, die Hälfte bei Kindern, ¼ bei Säuglingen) in Wasser aufgelöst oder bei fettlöslichen Giften Paraffinöl (1,5 ml/kg Körpergewicht) eingegeben werden.

 

Bei anhaltender Obstipation durch die darmlähmende Wirkung mancher Gifte (Schlafmittel, Psychopharmaka, Atropin) ist auch ein Laxans, wie Natriumsulfat, wirkungslos, und nach einmaliger Applikation wird nur reine Medizinalkohle gegeben.

 

Bevorratung

 

In der Hausapotheke, in der Betriebsapotheke und in der Notfalltasche des Arztes sollte Kohle-Pulvis vorrätig sein. Für den Fall einer Massenvergiftung durch verdorbene Lebensmittel sollte in jedem Betrieb für jeden kantinenverpflegten Betriebsangehörigen eine Einzeldosis Kohle-Pulvis bereitgehalten werden.

 

Ein Kreiskrankenhaus sollte für einen Einzugsbereich von je 50000 Einwohnern je 200 Einzeldosen bereithalten. Lagerungs- und Haltbarkeitsprobleme gibt es nicht, da dieses Gegengift unbegrenzt haltbar ist.

 

Zusammenfassung

 

Die orale Antidot-Therapie mit Medizinalkohle ist nach oraler Giftaufnahme außerordentlich effizient und gerade für Laien im Verdachtsfalle leicht anwendbar. Es gibt keine Kontraindikationen. Die Unterlassung dieser Therapie kann als ärztlicher Kunstfehler gewertet werden. Kohle ist das wichtigste Antidot einer Hausapotheke.

 

Quelle: Autorisierter Sonderdruck aus „Fortschritte der Medizin“, 15/83: 697-700, 101. Jahrgang

Medizinalkohle - das älteste und wichtigste Gegengift

Von Dr. M. Daunderer

 

Tierkohle wurde im Altertum wie heute als Adsorbens und Entfärber verwendet. Sie wird aus Knochen gewonnen, hat mit 10 - 15% einen geringen Gehalt an Kohlenstoff und eine wesentlich geringere Adsorptionskraft als Kohle aus pflanzlichen Materialien. Sie kann bei einigen Vergiftungen toxisch wirken, wie z.B.: bei der Alkoholvergiftung, bei der Aldehyde und Ketone aus der Tierkohle gelöst und resorbiert werden, oder bei der Blausäure-Vergiftung.

 

Die Anwendung von Tierkohle als Gegengift sollte daher heute generell unterbleiben.

 

Beschaffenheit

 

Medizinalkohle wird durch Verkohlung von pflanzlichen Materialien, wie Holz (speziell Lindenholz), Kokosnussschalen oder Moosen, gewonnen, besteht zu 90% aus Kohlenstoff und wird durch gesättigten Wasserdampf oder Kohlendioxid bei hoher Hitze gereinigt und aktiviert. Es kommt hierbei zum Anfressen der Oberfläche, die Kohle-Körnchen sind danach von feinsten Kapillaren durchzogen, die Oberfläche der Kohle-Partikel liegt bei etwa 1500 m2/g.

 

Die große Oberfläche ermöglicht eine große Bindungskapazität. Die Teilchengröße und die Porenweite von 20 - 500 Å bestimmen die Penetration und damit die Geschwindigkeit der Adsorption. Das Pulver ist schwarz, geruch- und geschmacklos, in Wasser und Ethylalkohol unlöslich.

 

Wirkungscharakter

 

Medizinalkohle adsorbiert in Flüssigkeiten und Gasen gelöste Teilchen und entfernt sie somit aus denselben. Adsorption ist die Bindung gelöster Stoffe an Grenzflächen zwischen festen und flüssigen Medien. Es besteht ein labiles Gleichgewicht zwischen Adsorption und Desorption. Diese Gleichgewichtsreaktion ist nach einer Minute zu mehr als 90% abgelaufen. Nach 24 - 48 Stunden wird der stabile Kohle-Gift-Komplex durch kompetitive Einflüsse und pH-Wert-Änderungen in den tieferen Darmabschnitten wieder gelöst. Durch die Zugabe des Laxans Natriumsulfat (Glaubersalz) wird die Passagezeit des Kohle-Gift-Komplexes im Darm auf ein Minimum reduziert.

 

Medizinalkohle ist atoxisch, sie kann nicht überdosiert, sondern höchstens unterdosiert werden. Die Dosierung richtet sich nicht nur nach der zu erwartenden adsorbierenden Giftmenge, sondern auch nach dem Magen-Darm-Inhalt, der ebenfalls adsorbiert wird. Es wurden Einmalgaben bis zu 100 g gegeben. Kohle adsorbiert nicht nur chemische Gifte, sondern auch Bakterien und Bakterientoxine (Staphylokokken-Enterotoxin), Bilirubin, Vitamine, Verdauungsenzyme, Aminosäuren und andere Nahrungsbestandteile. Jegliche orale Medikation muss daher für die Dauer der Kohle-Passage durch den Magen-Darm-Trakt unterbleiben.

 

Medizinalkohle reagiert neutral. pH-Veränderungen beeinflussen jedoch die Adsorptionskraft von Kohle: Salizylsäure wird im sauren Milieu des Magens besser adsorbiert als im alkalischen Milieu des Darms. Durch Magensaft, Nahrungsmittel, Bilirubin und Lipide der Galle wird ein großer Teil der Kohle-Oberfläche besetzt.

 

Feinstkörnige wässrige Suspensionen (Kohle-Pulvis*) adsorbieren Gifte wesentlich schneller (90% in 1 min) als Kohle-Tabletten (2 Std.), die erst völlig aufgelöst und suspendiert werden müssen. Frisch zubereitete Kohle-Suspensionen besitzen im Vergleich zu länger aufbewahrten Kohle-Suspensionen keine höheren adsorptiven Eigenschaften.

 

Die größte Adsorptionskraft der Kohle-Zubereitungen verschiedener Hersteller zeigen Kohle-Kompretten bzw. Kohle-Pulvis. Aus technischen Gründen wird bei der Intensivbehandlung Vergifteter, bei der Antidot-Behandlung oraler Vergiftungen in der Arztpraxis, bei Massenvergiftungen am Unfallort oder bei Anwendung durch Laien die praktische Anwendung von Kohle-Pulvis in der Plastikdose der umständlichen Zubereitung der einzeln verpackten Kohle-Kompretten vorgezogen. Die negativen Erfahrungen mit der zeitraubenden Zubereitung der Kohle-Suspension aus Kompretten haben uns veranlasst, die Herstellung der praktischen Einmal-Applikationsform im Schraubbecher anzuregen.

 

Alternative Adsorbentien

 

Medizinalkohle ist bei den meisten Vergiftungen anderen Adsorbentien, wie Bolus alba, Cholestyramin, Kaolin, Talk, Milchpulver oder Alasksan montmorillonte (Bentonit, Kaolin und Magnesiumtrisilikat), überlegen. Bentonit oder Amberlit sind lediglich bei der Paraquat-Vergiftung der Kohle etwas überlegen. Cholestyramin ist bei der Digitalis- und Acetaminophen-Vergiftung Kohle geringfügig überlegen. Im Universal-Antidot wird ein großer Teil der Adsorptionskraft von Kohle durch Tannin blockiert, es ist daher schlechter als reine Kohle.

 

Wirkzeit

 

Viele oral eingenommenen Gifte halten sich oft erstaunlich lange, ja sogar einige Tage lang im Magen-Darm-Trakt auf. Viele Gifte, wie Schlafmittel, Thallium, trizyklische Antidepressiva, Digitalis und Opiate, haben einen enterohepatischen Kreislauf, d.h. die resorbierten Gifte werden in der Leber abgebaut und zum Teil über die Galle wieder in wirksamer Form in das Duodenum gebracht. Hier kann die wiederholte Kohle-Gabe eine erneute Resorption unterbrechen und die Halbwertszeit erheblich reduzieren (Alternative zur Hämoperfusion).

 

Tab. 1: Adsorptionskapazität von Medizinalkohle

 

sehr stark werden

adsorbiert:

 

Amphetamin                                       Diphenylhydantoin

Antiepileptika                                     Ergotamin

Atropin                                               Jod

Benzodiazepine                                 Opiate

Bisacodyl                                          Phenol

Colchizin                                            Pilzgifte

Digitalis                                              Polyäthylenglykol

                                                         Psychopharmaka (trizykl.)

 

stark werden adsorbiert:

 

Chinidin                                             Ipecacuanha-Sirup

Chinin                                                Schlafmittel (Gluthetimid)

Chloroquin                                         Tenside

 

mäßig werden adsorbiert:

 

Blausäure                                          Ethanol

Borsäure                                            Ethylenglykol

Cyanide                                             Lösungsmittel

DDT                                                   Methylalkohol

Eisensalze                                         Schädlingsbekämpfungsmittel (Alkylphosphate, Carbamate)

 

nicht adsorbiert werden:

 

Mineralsäuren                                    in Wasser unlösliche Stoffe

mineralische Laugen                          (z.B. Tolbutamid)

 

Dauertherapie

 

Kohle wird auch in extrem hohen Dosen von z.B. 100 g gut vertragen. Lediglich eine wochenlange Dauertherapie unter oraler Ernährung könnte zu Vitamin- und Eiweiß-Mangelerscheinungen führen. Eine Inhalation von Kohle-Staub oder Aspiration von Kohle-Suspension ist völlig ungefährlich.

 

Kohle-Zeit

 

Die Zeitspanne, die zwischen der oralen Gabe und dem Auftreten der Kohle im Stuhl verstreicht, wird als Kohle-Zeit bezeichnet. Sie dient zur Beobachtung der Darmpassage des Giftes. Wenn die Kohle im Stuhl auftritt, hat bei genügend hoher Kohle-Dosierung der nicht aus dem Darm resorbierte Giftanteil den Körper verlassen. Eine Abführmittelzugabe verkürzt die Kohle-Zeit.

 

Indikationen

 

Tenside in Wasch- und Reinigungsmitteln werden stark adsorbiert. Die Adsorptionskraft von Medizinalkohle bei Paraquat-Vergiftungen wird von Amberlit, Bentonit oder Fullers Earth deutlich übertroffen, ist jedoch der Gartenerde weit überlegen.

 

Organische Lösungsmittel, wie Benzol, Diethylamin, Tetrachlorethan, Tetrachlorkohlenstoff u.a., werden von Medizinalkohle fast ebenso gut adsorbiert wie von Paraffinöl.

 

Pilzgifte und andere giftige Nahrungsbestandteile (Histamin, Proteus, Cholera-Vibrionen) werden von Medizinalkohle hervorragend adsorbiert. Schädlingsbekämpfungsmittel, wie Alkylphosphate und Carbamate, werden zwar an Kohle adsorbiert, infolge der darmlähmenden Wirkung der bei Vergiftungen angewandten hochdosierten Antidot-Therapie mit Atropin empfiehlt sich hier anfangs die Zugabe von Natriumbikarbonat zum Magenspülwasser bzw. zum hohen Darmeinlauf zur Inaktivierung der Gifte und erst später die wiederholte Gabe von Kohle.

 

Alkohol, Methylalkohol und Ethylenglykol werden zwar leicht an Medizinalkohle adsorbiert, aber auch rasch wieder desorbiert.

 

Klinisch bewährt hat sich die wiederholte Anwendung von Kohle über die Magensonde, z.B. bei Pankreatitis, Hypothermie oder paralytischem Ileus, zur Verhinderung eines Endotoxin-Schocks. Medizinalkohle bindet hier toxische Abbauprodukte im Darm, die eine schädigende Wirkung auf parenchymatöse Organe haben können. Die älteste Indikation für Kohle, die Reduktion der Flatulenz, wird über die Adsorption der sie erzeugenden Bakterien erklärt.

 

Wirkungslosigkeit

 

Praktisch nicht an Kohle adsorbiert werden Mineralsäuren, Natriumsulfat, Natriumhydroxid, Kaliumhydroxid und in Wasser unlösliche Substanzen wie Tolbutamid. Schlecht adsorbiert werden Eisensulfat, Malathion, DDT, N-MEthylcarbamat, Borsäure und Thallium. Blausäure wird ebenfalls kaum von Kohle adsorbiert und hebt zugleich die adsorptive Wirkung von Kohle auf. Bei der Herstellung von Medizinalkohle ist daher auf die Freiheit von Blausäure zu achten.

 

Kontraindikation

 

Es gibt keine Kontraindikation für die orale Anwendung von Medizinalkohle. Nach Ätzmittel-Ingestion ist eine Kohle-Gabe wirkungslos und damit sinnlos. Bei Agitation oder Benommenheit fehlt ohnehin die Kooperation des Patienten. Eine Aspiration wäre nicht gefährlich.

 

Alternative zum Erbrechen

 

Ein Salzwasser-Erbrechen kann durch eine Natrium-Vergiftung gefährlich, ja sogar tödlich sein. Ein Apomorphin-Erbrechen kann wegen Kreislaufnebenwirkungen, Ipecacuanha-Erbrechen wegen Wirkungslosigkeit oder Gefahr zerebraler Nebenwirkungen bei Überdosierung gefährlich sein. Außerdem erfolgt die Entleerung des Magens nach einmaliger Füllung vor dem Erbrechen insuffizient.

 

In allen Fällen ist hier die orale Gabe von Aktivkohle schneller wirksam, effektiver und gefahrloser. Selbst nach einer Magenspülung, die lege artis mit 40 Litern Wasser durchgeführt wurde, müssen die Giftreste aus dem Magen und den tieferen Darmabschnitten durch Kohle gebunden werden.

 

Durch die sofortige Gabe von Kohle am Unfallort bei ansprechbaren und kooperativen Patienten kann in leichteren Fällen ein provoziertes Erbrechen erspart werden, in ernsteren Fällen nach vermutlicher Aufnahme toxischer Giftmengen kann sich in der Klinik die Magenspülung anschließen.

 

In den Fällen, in denen früher an ein provoziertes Erbrechen als Erstmaßnahme gedacht wurde, empfiehlt sich heute die Kohle-Gabe in ausreichender Menge und rascher Zubereitung.

 

Dosierung

 

Die Dosierung bei oraler Applikation muss etwa 10fach höher liegen als in vitro für die aufgenommene Giftmenge berechnet, da die Kohle den gesamten Magen-Darm-Inhalt adsorbiert; 100fache Dosen sind jedoch auch vertretbar.

 

Als einmalige Dosis sollte bei jedem Vergiftungsverdacht nach oraler Giftaufnahme eine Einzeldosis von 10 g Kohle-Pulvis bei Erwachsenen, etwa die Hälfte bei Kindern und etwa ¼  bei Säuglingen eingegeben werden.

 

Viele Gifte, wie Schlafmittel, Thallium, Morphium, Knollenblätterpilze, haben eine Rezirkulation oder einen enterohepatischen Kreislauf; hier ist 4- oder 6stündlich die Wiederholung der ersten Kohle-Gabe indiziert. Auch die rektale Applikation von Kohle ist insbesondere bei Giften mit einer schnellen Magen-Darm-Passage, wie Alkylphosphate oder Schwermetalle, indiziert.

 

Natriumsulfat-Gabe

 

Nicht die Kohle, jedoch die Giftwirkung (Schlafmittel) oder das plötzliche Wegbleiben einer Giftwirkung (Staphylokokken-Enterotoxin) führen zur Obstipation. Da der Kohle-Gift-Komplex jedoch nach einiger Zeit, spätestens nach 48 Stunden unter Freigabe des toxischen Substrats wieder zerfällt, muss er den Magen-Darm-Trakt möglichst rasch verlassen. Die Zugabe eines Laxans, das nicht an die Kohle absorbiert wird, wie Natriumsulfat (Glaubersalz) - nicht Magnesiumsulfat, das durch die resorptive Wirkung von Magnesium zu einer Schlafmittel-Vergiftungssymptomatik führen kann - , ist hier nötig.

 

Zusammen oder im Anschluss an die erste Dosis kann - mit Ausnahme einer schweren Diarrhoe bei Schwermetall- oder Nahrungsmittelvergiftungen - das salinische Abführmittel Natriumsulfat (Glaubersalz, 2 Esslöffel bei Erwachsenen, die Hälfte bei Kindern, ¼ bei Säuglingen) in Wasser aufgelöst oder bei fettlöslichen Giften Paraffinöl (1,5 ml/kg Körpergewicht) eingegeben werden.

 

Bei anhaltender Obstipation durch die darmlähmende Wirkung mancher Gifte (Schlafmittel, Psychopharmaka, Atropin) ist auch ein Laxans, wie Natriumsulfat, wirkungslos, und nach einmaliger Applikation wird nur reine Medizinalkohle gegeben.

 

Bevorratung

 

In der Hausapotheke, in der Betriebsapotheke und in der Notfalltasche des Arztes sollte Kohle-Pulvis vorrätig sein. Für den Fall einer Massenvergiftung durch verdorbene Lebensmittel sollte in jedem Betrieb für jeden kantinenverpflegten Betriebsangehörigen eine Einzeldosis Kohle-Pulvis bereitgehalten werden.

 

Ein Kreiskrankenhaus sollte für einen Einzugsbereich von je 50000 Einwohnern je 200 Einzeldosen bereithalten. Lagerungs- und Haltbarkeitsprobleme gibt es nicht, da dieses Gegengift unbegrenzt haltbar ist.

 

Zusammenfassung

 

Die orale Antidot-Therapie mit Medizinalkohle ist nach oraler Giftaufnahme außerordentlich effizient und gerade für Laien im Verdachtsfalle leicht anwendbar. Es gibt keine Kontraindikationen. Die Unterlassung dieser Therapie kann als ärztlicher Kunstfehler gewertet werden. Kohle ist das wichtigste Antidot einer Hausapotheke.

 

Quelle: Autorisierter Sonderdruck aus „Fortschritte der Medizin“, 15/83: 697-700, 101. Jahrgang