Kritik an Gutachten erlaubt

Die Eröffnung des Hauptverfahrens wurde abgelehnt i.S.Dr.Binz.

Der Landesärztekammer werden die Gerichtskosten und die dem Beschuldigten entstandenen notwendigen Auslagen auferlegt.

G r ü n d e

I.
Nach § 69 Abs. 1 HeilBG ist die Eröffnung des Hauptverfahrens abzulehnen, wenn die Voraussetzungen des § 68 Abs. 1 Satz 1 HeilBG nicht vorliegen, wenn also nach dem Ergebnis der Vorprüfung das Kammermitglied einer schuldhaften Berufspflichtverletzung nicht hinreichend verdächtig ist.

Der Beschuldigte ist Nervenarzt in Trier. Ihm wird vorgeworfen, im Laufe der Jahre 1997/98 in 9 Fällen im Rahmen von Berufskrankheiten- und Rentenverfahren an medizinischen Stellungnahmen und Gutachten Kritik geäußert zu haben, die die Grenzen des kollegialen Achtungsgebots überschritten und die Gutachter diffamiert und beleidigt und sich somit als Verstoß gegen § 15 der Berufsordnung für Ärzte in Rheinland-Pfalz dargestellt haben soll. Im einzelnen liegen dem folgende Vorkommnisse zu Grunde, wobei sich die Darstellung nicht an dem zeitlichen Ablauf, sondern an der Wiedergabe in der Antragsschrift der Antragstellerin orientiert:

1. Mit einem an die Staatsanwaltschaft Trier gerichteten Schreiben vom 6.6.1998 hat der Beschuldigte auf Bitten eines Herrn S. zu einem von Frau Marion Leitner - Ärztin am Gesundheitsamt Trier - gefertigten Aktenvermerk vom 25.2.1998 Stellung genommen. Dieses Schreiben enthält auf Seite 1 folgende Formulierung:

"Es werden im "Aktenvermerk" somit wichtige dokumentierte Befunde bewusst ausgelassen, andere Befunde sind objektiv falsch".

Auf der dem Berufsgericht trotz Aufforderung bislang nicht vorgelegten Seite 2 dieses Schreibens sollen sich folgende weitere Passagen befinden:

"Es werden auch schwerwiegende Fehler bei einfachen neurologischen Untersuchungen sichtbar: Weder die Polyneuropathie wird erkannt, noch die schwere Muskelschädigung, obwohl jeder Laie Herrn S. die Verschmächtigung der gesamten Körpermuskulatur ansieht".

"Der psychische Befund ist völlig unbrauchbar".

"Die Diagnosen werden also verfehlt, heruntergespielt oder bewusst ausgelassen".

"Es handelt sich bei dem "Aktenvermerk" um eine Verfälschung, die offensichtlich grob gegen die Pflicht zur wahrheitsgemäßen und vollständigen Aussage in einem Rechtsverfahren verstößt".

"... das Hinweguntersuchen von toxischen Schäden im Gesundheitsamt Trier...".


2. In einem weiteren Schreiben des Beschuldigten vom 28.5.1998 an die Bezirksärztekammer Trier wird den Ärzten des medizinischen Dienstes der Krankenkassen vorgeworfen:

"Die Methoden im MDK-Gutachten sind absurd, alle Schäden werden hinweg untersucht".

3. Am 15.9.1997 hat der Beschuldigte im Auftrag eines Herrn Klaus-Dieter
Lorentz aus Merxheim gegenüber dem Sozialgericht Mainz eine ärztliche Stellungnahme abgegeben. In Bezug auf den Sachverständigen hat er behauptet:

"Auch bei allgemeinen Grundkenntnissen kann jeder Laie ausschließen, dass jemand nach 3 Jahren Michelin und nach 15 Jahren Lederfabrik ohne Schaden davongekommen sein könnte".
4. In einem weiteren, an den behandelnden Arzt von Frau Lieselotte Sauerbeck aus Merxheim gerichteten Schreiben vom 16.3.1998 hat der Beschuldigte ausgeführt:

"Wenn falsch negative Befunde bewusst eingesetzt werden, und dafür spricht hier vieles, so ist das zweifellos eine schwere Verletzung medizinischer und ethischer Regeln".

5. In einem Herrn Johann Meisenburg betreffenden Schreiben vom 19.6.1998 an den DGB Trier hat der Beschuldigte zu einem Gutachten aus Homburg vom 25.5.1998 folgende Behauptungen aufgestellt:

"Die Klinik hat halt Jahrzehnte lang konsequent solche Schäden übersehen..."

"Jedes Kind weiß aus dem Fernsehen, dass toxische Stoffe auch Gefäßschäden machen, insbesondere Infarkt. Jeder Gutachter sollte es aus dem Casarett/Doull`s wissen. Trotzdem wird dann so getan, als seien die Gefäßschäden völlig unabhängig von der Arbeit".

6. In einem Schreiben vom 18.4.1997 an das Sozialgericht Trier hat der Beschuldigte in Bezug auf den Sachverständigen Prof. Dr. Haaß folgende Behauptung aufgestellt:

"Zu dem Gutachten Professor Haaß muss man nicht viele Worte verlieren: Er bedient sich bewusst in den wichtigen Punkten irreführender Aussagen".

7. In einem Schreiben vom 11.7.1998 an den VDK Kreisverband Ludwigshafen hat der Beschuldigte für den Patienten Dane Bajan aus Bad Dürkheim sich wie folgt zu einem Gutachten geäußert:

"Zu dem Gutachten muss man nicht viel sagen: Das Gutachten zeigt keinerlei Kenntnisse über toxische Schäden...".

"...ein offensichtlicher Verstoß gegen die Mindestanforderungen in einem Gutachten...". "Nach dem PET sind die Erklärungsversuche der Industrie-Gutachter Arbeitsschäden als Neurose oder somatotomes Schmerzsyndrom abzuwiegeln noch so aktuell, wie der Versuch, eine Epilepsie als Teufelsbesessenheit zu erklären nach Entwicklung des EEG".

8. In einem an Herrn Dr. Schuh gerichteten Schreiben vom 28.7.1998 hat der Beschuldigte in Bezug auf den Sachverständigen Prof. Dr. Konietzko folgende Behauptung aufgestellt:

"Die Fiktion, hier gehe es noch um Medizin oder Recht, kann nicht länger aufrecht erhalten werden".

9. In einem an das Sozialgericht Trier gerichteten Schreiben vom 28.7.1998 hat der Beschuldigte schließlich in Bezug auf den Gutachter Priv. Doz. Dr. Ulrich Bohm-Audorf ausgeführt:

"Ich bin der Meinung, dass das Gutachten selbst das in BG-Verfahren zufordernde Mindestmaß an Wahrheit nicht erfüllt".


II.
Der Beschuldigte hat sich im wesentlichen dahingehend eingelassen, niemals die Absicht gehabt zu haben, die von ihm angegriffenen Kolleginnen und Kollegen persönlich zu beleidigen. Er habe sich aber stets mit Nachdruck für seine Patienten eingesetzt und er sei stets bemüht, in deren Interesse Fehler bei Untersuchungen und Gutachten schonungslos aufzudecken. Trotz provozierender Härte müssten seine Ausführungen noch als sachbezogene Meinungsäußerung gewertet werden. Dies vor allem deshalb, weil Gutachtern offensichtlich.

von einem früheren Werksarzt des BASF in Abstimmung mit Dr. Trarbach vorab "ins Gewissen geredet" würde. Er selbst würde sich mit der stereotypen Ablehnung von Leistungen nicht abfinden und deshalb würde eine perfide, widerrechtliche, massive und existenzvernichtende Hetzjagd auf ihn veranstaltet. Schließlich würden Patienten von ihm systematisch benachteiligt, um ihn auf diese Weise zu neutralisieren. Im übrigen seien nicht seine scharfen Äußerungen Anlass für das berufsgerichtliche Verfahren, sondern das klägliche Scheitern des Versuchs, gegen ihn ein Verfahren auf Ruhen der Approbation durchzusetzen. Im übrigen habe vor Einleitung des berufsgerichtlichen Verfahrens eine Anhörung weder formal noch inhaltlich stattgefunden. Schließlich seien unbefugt Patientendaten an Dritte weitergeben worden mit der Folge, dass diese und damit zusammenhängende Tatsachen und Vorkommnisse in dem berufsgerichtlichen Verfahren nicht berücksichtigt werden dürften. Das Verfahren leide an dem Makel "fruit of the poisoned tree" und es verbleibe letztlich kein verwertbares Ermittlungsergebnis.


III.
Aufgrund der dem Gericht von der Antragstellerin vorgelegten Urkunden und der Einlassung des Beschuldigten ergibt sich bei der Vorprüfung gemäß § 66 HeilBG, dass bei dem Beschuldigten kein hinreichender Verdacht einer schuldhaften Berufspflichtverletzung im Sinne des § 68 Abs. 1 Satz 1 HeilBG vorliegt. Ein schuldhafter Verstoß gegen § 15 der Berufsordnung für die Ärzte in Rheinland-Pfalz lässt sich nicht feststellen.

Bei der Prüfung hat sich für das Berufsgericht zunächst generell die Frage gestellt, ob der Beschuldigte von der Antragstellerin ausreichend angehört worden war und ob gegebenenfalls eine fehlerhafte Anhörung durch das eingeleitete Verfahren geheilt werden kann. Die von der Antragstellerin angeführte Unterredung bei der Bezirksregierung Trier kann schon deshalb nicht als Gewährung rechtlichen Gehörs gewertet werden, da dies nicht im Rahmen der berufsrechtlichen Vorermittlungen geschah und der Beschuldigte keine Gelegenheit hatte, zu konkreten Vorwürfen Stellung zu nehmen. Entgegen der Auffassung des Beschuldigten dürfte ihm jedoch durch Schreiben der Kammer vom 6. und 11.8.1998 hinreichend Gelegenheit geboten worden sein, sich zu den Vorwürfen 3) bis 9) zu äußern. Mit dem Vorwurf 1) wurde er demgegenüber vor Einleitung des berufsgerichtlichen Verfahrens niemals konfrontiert, ebenfalls nicht bezüglich des Vorwurfs 2). Da trotz Aufforderung des Gerichts die Seite 2 des Schreibens des Beschuldigten an die StA Trier vom 6.6.1998 (Vorwurf 1) nicht vorgelegt wurde, dürfte zumindest insoweit eine Heilung der fehlenden Anhörung im anhängigen Verfahren ausscheiden.

Diese formellen Fragen sollen aber ebenso wie die Frage, ob überhaupt und gegebenenfalls inwieweit Ermittlungsergebnisse wegen angeblicher Verletzungen datenschutzrechtlicher Bestimmungen unverwertbar sind, nicht weiter vertieft werden. Denn die Einleitung eines berufsgerichtlichen Verfahrens scheitert daran, dass dem Beschuldigten letztlich kein ahndungswürdiges schuldhaftes Berufsvergehen vorzuwerfen ist.

Nach § 15 Abs. 1 der Berufsordnung für die Ärzte in Rheinland-Pfalz haben Ärzte sich untereinander kollegial und rücksichtsvoll zu verhalten. Unberührt hiervon bleibt seine Verpflichtung nach § 12 Abs. 1 BO, in einem Gutachten - auch soweit es die Behand-lungsweise eines anderen Arztes betrifft - nach bestem Wissen seine ärztliche Überzeugung auszusprechen. Unsachliche Kritik an der Behandlungsweise und dem beruflichen Wissen eines Arztes sowie herabsetzende Äußerungen über seine Person sind berufsunwürdig.

Der Antragstellerin ist einzuräumen, dass dem äußeren Anschein nach zumindest einige der von dem Beschuldigten in den 9 zum Gegenstand dieses Verfahrens gemachten Schreiben verwendeten aggressiven Formulierungen und Äußerungen durchaus als unkollegiales und rücksichtsloses Verhalten gewertet bzw. zumindest so von den betroffenen Kolleginnen und Kollegen interpretiert werden können.

Bei der Auslegung des § 15 Abs. 1 BO ist aber zu beachten, dass ein berufsunwürdiges vorwerfbares Verhalten nicht vorliegen kann, wenn bei einer beiderseitigen Güter- und Interessenabwägung des verfassungsrechtlich garantierten Persönlichkeitsrechts (Art. 1 GG) des Betroffenen einerseits und der durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Meinungsfreiheit des sich Äußernden andererseits die beanstandete Äußerung durch die Meinungsfreiheit gedeckt und somit gerechtfertigt ist. Dem vorauszugehen hat die Prüfung, ob die beanstandete Äußerung überhaupt ehrverletzend ist, da nur dann von einem Berufsvergehen die Rede sein kann. Es muss zunächst der Sinn der umstrittenen Äußerung erfasst werden, wobei es hierbei weder auf die subjektive Absicht des sich Äußernden noch auf die subjektive Wahrnehmung des von der Äußerung Betroffenen ankommt. Maßgeblich ist vielmehr der Sinn, den eine Äußerung - unter Berücksichtigung des allgemeinen Sprachgebrauchs - nach dem Verständnis eines unbefangenen und verständigen Publikums objektiv hat (vgl. BVerfG, NJW 1995, 3303).

Hinsichtlich der letztlich entscheidenden Frage, wann ein Angriff auf die Ehre als widerrechtlich anzusehen ist und wann er nach der Rechtsordnung -weil durch das Recht auf freie Meinungsäußerung oder durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen seitens des Angreifers gedeckt - hingenommen werden muss, kommt es maßgeblich darauf an, ob die ehrverletzende Äußerung Tatsachenbehauptungen oder Werturteile zum Gegenstand hat (vgl. hierzu z.B. BVerfG, NJW 1996, 1529; NJW 1992, 1439; NJW 1992, 1442; NJW 1999, 1322 und NJW 1999, 3326; BGH, NJW 1996, 1131; OLG Koblenz, NJW-RR 1998, 750; OLG Köln, NJW-RR 2000, 829).

Tatsachenbehauptungen beziehen sich auf die objektive Wirklichkeit, sind also dem Beweis als "wahr oder unwahr" zugänglich (vgl. BVerfG, NJW 1994, 1779; BGH, NJW-RR 1999, 1251; OLG Koblenz, NJW-RR 1998, 750; OLG Brandenburg, NJW 1999, 3339, 3341). Bewusst unwahre, aber auch ohne weiteres erkennbar unwahre Tatsachenbehauptungen können durch das Recht auf freie Meinungsäußerung nicht gedeckt sein; denn an der Aufrechterhaltung und Weiterverarbeitung herabsetzender Tatsachenbehauptungen, die als unwahr erkannt wurden, kann auch unter dem Gesichtspunkt der Meinungsfreiheit kein schützenswertes Interesse bestehen (BVerfG, NJW 1996, 1529; NJW 1997, 1439, 1441). Bei nicht erweislich wahren Tatsachenbehauptungen muss eine Abwägung zwischen den Interessen des Äußernden und den Interessen des Betroffenen vorgenommen werden: Beruht die Behauptung auf einer sorgfältigen Recherche und besteht ein sachliches Interesse des Äußernden an der Weiterverarbeitung oder ein Interesse der Allgemeinheit an einer Information, überwiegt außerhalb von Bereichen, die die Intim-, Privat- oder Vertraulichkeitssphäre des Betroffenen berühren, regelmäßig das Grundrecht des Art. 5 I GG den Ehrenschutz des Betroffenen (BVerfG, NJW 1999, 1322; BGH, NJW 1993, 525, 527; Soehring, NJW 1997, 360, 364). Wahre Tatsachen schließlich dürfen - mit im vorliegenden Fall nicht interessierenden Ausnahmen - grundsätzlich verbreitet werden (vgl. BVerfG, NJW 1993, 1464; NJW 1999, 1322; OLG Brandenburg, NJW 1999, 3342; Soehring, NJW 1997, 360, 367).

Werturteile dagegen, also Stellungnahmen des Äußernden, die die subjektive Beziehung des Äußernden zum Gegenstand seiner Äußerung widerspiegeln und auf Tatsachen beruhen können, aber keinesfalls müssen, sind grundsätzlich frei, ohne dass es darauf ankäme, ob die Äußerung wertvoll oder wertlos, richtig oder falsch, begründet oder grundlos, emotional oder rational ist (BVerfG, NJW 1997, 1439, 1440). Auch eine überspitzte und polemische Kritik muss grundsätzlich hingenommen werden (BVerfG, NJW 1991, 95; NJW 1992, 1439, 1441; OLG Brandenburg, NJW 1999, 3339). Erst wenn bei einer Meinungsäußerung nicht mehr die - wenn auch polemische - Auseinandersetzung in der Sache im Vordergrund steht, sondern die Person des Betroffenen, die verletzt, beschädigt, geschmäht werden soll (so genannte Schmähkritik, die insbesondere - aber nicht nur - im Fall von Formbeleidigungen zu bejahen ist), muss das Grundrecht der Meinungsfreiheit hinter dem Schutz des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen zurücktreten (vgl. BVerfG, NJW 1992, 1439, 1441; NJW 1991, 95; NJW 1995, 3303; NJW 1999, 3326).

Unter Berücksichtigung dieser Ansatzpunkte und rechtlicher Grundsätze ist festzustellen, dass dem Beschuldigten nicht vorgeworfen werden kann, sich durch unwahre Tatsachenbehauptungen unkollegial verhalten zu haben. Den Beteiligten ist mit gerichtlichem Schreiben vom 9.6.1999 mitgeteilt worden, dass überwiegend Tatsachenbehauptungen des Beschuldigten gerügt werden, daneben auch medizinische Bewertungen und Beurteilungen. Da die einzelnen zugrunde liegenden Verfahrensunterlagen, Befunderhebungen und Gutachten nicht übermittelt worden sind, könnte eine wertende Überprüfung - so der weitere richterliche Hinweis - nicht möglich sein. Zumindest müsste vorgetragen werden, welche Tatsachenbehauptungen des Beschuldigten objektiv falsch sind. Da hierzu bislang substantiiert noch keine Äußerungen vorliegen, muss mangels abweichender Anhaltspunkte davon ausgegangen werden, dass die von dem Beschuldigten in den 9 Schreiben aufgestellten Tatsachenbehauptungen zutreffen und somit für sich allein betrachtet keine vorwerfbare berufsunwürdige Äußerungen darstellen.

Als Beispiel hierfür sei einmal die von der Antragstellerin gerügte Behauptung des Beschuldigten in seinem Schreiben vom 6.6.1998 (Vorwurf 1) angeführt, im Aktenvermerk seien wichtige dokumentierte Befunde bewusst ausgelassen worden und andere Befunde seien objektiv falsch. Hierbei handelt es sich um Tatsachenbehauptungen, deren Wahrheitsgehalt nicht substantiiert in Abrede gestellt worden ist. Zudem sei angemerkt, dass der Beschuldigte für diese Aussage auch eine Begründung gegeben hat, die ebenfalls nicht bestritten worden ist. Er hat nämlich im Satz zuvor dargelegt, dass bei der Untersuchung im Gesundheitsamt die Untersuchungsbefunde aus seiner Praxis vollständig vorgelegen hatten. In den nachfolgenden Sätzen begründet er nun einzelne Auslassungen und legt dar, warum dies aus seiner Sicht bewusst geschehen war. Eine Auseinandersetzung hiermit fehlt, die dem Schreiben des Beschuldigten zugrunde liegenden einzelnen Vorgänge - vor allem der angeführte Aktenvermerk -sind nicht zu den Gerichtsakten eingereicht worden.

Als weiteres Beispiel sei das Schreiben des Beschuldigten vom 18.4.1997 (Vorwurf 6) angeführt. Bei der Äußerung des Beschuldigten, Prof. Haaß bediene sich bewusst in den wichtigen Punkten irreführender Aussagen, handelt es sich ebenfalls im Kern um eine Tatsachenbehauptung, deren Richtigkeit nicht in Abrede gestellt worden ist. Auch hier sei angemerkt, dass der Beschuldigte seine Aussage mit einem Beispiel über das SPECT verdeutlicht und eine für das Gericht nicht ohne weiteres widerlegbare Begründung anführt.

Es verbleibt die Prüfung, ob die verbleibenden Meinungsäußerungen des Beschuldigten sich insgesamt oder zumindest in einzelnen Formulierungen als nicht gerechtfertigte Schmähkritik darstellen, wobei im einzelnen aber darauf verzichtet werden soll, jede gerügte Formulierung daraufhin zu untersuchen, ob es sich wirklich um eine Meinungsäußerung oder letztlich doch um eine in diesem Zusammenhang dann nicht mehr relevante Tatsachenbehauptung oder gutachterliche Schlussfolgerung handelt. Denn die gerügten Äußerungen des Beschuldigten erscheinen dem Berufsgericht im Rahmen der gebotenen Güterabwägung - gerade noch - durch die in Art. 5 Abs. 1 GG geschützte Meinungsfreiheit gedeckt und somit gerechtfertigt.

Bei der Würdigung der in den 9 Schreiben enthaltenen Passagen darf nicht verkannt werden, dass sie in einem Zusammenhang mit anderen Aussagen und Begründungsversuchen des Beschuldigten stehen, wie oben an den zwei Beispielen für Tatsachenbehauptungen veranschaulicht wurde. Schon hierdurch relativieren sich einzelne Behauptungen und Meinungsäußerungen und verlieren teilweise an Schärfe. Entscheidend für das Berufsgericht war aber die Überzeugung, dass es dem Beschuldigten letztlich doch immer noch um Sachauseinandersetzungen geht, die zwar teilweise mit beißender Kritik und überwiegend polemisch ausgetragen werden, die aber dennoch dem Ziel dienen, allein im Interesse von Patienten angeblich fehlerhafte Befunderhebungen und Begutachtungen aufzudecken. Nicht die Person, sondern das Gutachten wird angegriffen, angebliche Fehler werden dargestellt, das Nichtberücksichtigen medizinischer Erkenntnisse wird gerügt und wegen dieser angeblichen Fehler und Auslassungen wird beispielsweise wie im Schreiben vom 19.6.1998 (Vorwurf 5) behauptet, die Klinik habe jahrzehntelang konsequent solche Schäden übersehen - was sich im Kern um eine Tatsachenbehauptung handelt - und es wird das abschließende - von der Antragstellerin im übrigen nicht gerügte - Werturteil gefällt, das Gutachten habe wenig Qualität. Der Beschuldigte hat nicht eigensüchtig gehandelt und - das nimmt ihm das Gericht ab - er ist davon überzeugt, dass die Schulmedizin die toxischen Probleme und Verursachungen nicht zeitgemäß beurteilt. Ob seine oder die von seinen angegriffenen Kolleginnen und Kollegen vertretenen medizinischen Feststellungen, Schluss-folgerungen oder Hinweise zutreffen, vertretbar sind oder gar als falsch qualifiziert werden müssten, darf und kann für das Gericht bei seiner Würdigung, ob ein berufsunwürdiges Verhalten vorliegt, nicht ausschlaggebend sein.

Besteht somit kein hinreichender Verdacht einer schuldhaften Berufspflichtverletzung, muss gemäß § 69 Abs. 1 HeilBG die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt werden Kf 536/99.MZ