Heilpraktiker ein schnödes Hitlererbe

Kritiker halten die Existenz des Heilpraktikerberufs für einen Betriebsunfall der deutschen Geschichte. Unsere Nachbarn sind da weniger tolerant: Sie reagieren mit Kopfschütteln oder ziehen gleich vor Gericht, wenn ein deutscher Heilpraktiker naht. Warum eigentlich gibt es diesen Job immer noch?

 

Wir schreiben das Jahr 2006. Ganz Europa ist von den Brüsseler Eurokraten durchstandardisiert worden. Ganz Europa? Nein, eine kleine, regionale Zunft hört nicht auf, Widerstand zu leisten und pocht hartnäckig auf ihren Sonderstatus. Die Angehörigen dieser Zunft leben und praktizieren fast ausschließlich im europäischen Kernland, zwischen Alpen, Nordsee, Oder und Rhein. Ihr Name variiert mit dem geographischen Standort dessen, der von ihnen spricht. "Heilpraktiker" nennen sie sich selbst. Von "Kurpfuschern" reden andere.

Die wahren Erben des Heiligen Römischen Reichs sind die Heilpraktiker

Der Existenz des Heilpraktikerberufs in Deutschland liegt dieselbe Ursache zugrunde, die letztlich auch für Edmund Stoiber oder Jürgen Rüttgers verantwortlich ist. Weil Deutschland im frühen 19. Jahrhundert den Trend zum Zentralstaat verpennt hatte, gab es bis weit ins 20. Jahrhundert hinein keine einheitliche Regelung dazu, was in deutschen Landen unter einem Heilberuf zu verstehen sei. Heilen durfte, wer von seinem Fürsten die Erlaubnis bekam. Erst die Nazis sahen hier Regulierungsbedarf und schufen mit sicherem Gespür für monströse Wortschöpfungen die Reichsheilpraktikerschaft. Dadurch wurden tausende medizinische Therapeuten im Gebiet des Deutschen Reichs ohne ärztliche Ausbildung auf einen Schlag legalisiert. "Der Hintergedanke war, möglichst keine neuen Heilpraktiker mehr zuzulassen und unsere Zunft auf diese Weise aussterben zu lassen", sagt Arne Krüger vom Fachverband Deutscher Heilpraktiker (FDH) im Gespräch mit dem DocCheck-Newsletter. Das misslang völlig. Die Nazis gingen unter. Das Heilpraktikergesetz hatte Bestand. Die Bundesrepublik Deutschland allerdings beschloss, dass ein Zulassungsverbot für Heilpraktiker verfassungswidrig sei. Fortan wurden die Heilpraktiker im Westen Deutschlands nicht mehr gesetzlich verhindert, sondern gesetzlich protegiert. Lediglich die DDR schaffte den Beruf ab, mit der Folge, dass zum Zeitpunkt, als die Mauer fiel, noch genau elf Heilpraktiker im Osten aktiv waren, allesamt solche, die schon vor der Staatsgründung der DDR ihren Job angetreten hatten.

Bei Heilpraktikern führen viele Wege nach Rom

Heute genießen Heilpraktiker in ganz Deutschland ein Maß an medizinischer Handlungsfreiheit, das in Europa für nicht-ärztliche Berufe ohne Beispiel ist. Zwar reguliert Deutschland viele nicht-ärztliche Berufe sehr viel strenger als andere Länder. Der Handlungsspielraum von Krankenschwestern beispielsweise gilt hier zu Lande als außerordentlich begrenzt. Bei Heilpraktikern hingegen scheint dieses Prinzip außer Kraft gesetzt: Wenn sie sich an die im Heilpraktikergesetz festgezurrten Einschränkungen halten, brauchen sie keine ärztlichen Weisungen, um Patienten medikamentös oder anderweitig zu therapieren. Sie brauchen nicht einmal eine ordentliche Ausbildung. Denn die einzige Voraussetzung für die Ausstellung eines Heilpraktikerscheins ist das Bestehen der Heilpraktikerprüfung. Dieser Prüfung kann eine mehrjährige Ausbildung voran gehen. Muss aber nicht. Zwar bemühen sich Heilpraktikerverbände wie der FDH um einen gewissen Grad an Standardisierung: "Wir propagieren eine dreijährige Ausbildung. Es gibt aber auch andere, bei denen das wesentlich schneller geht", so Krüger. Als ein gewisses Korrektiv zur Verhinderung der totalen Willkür sehen die Verbände die nicht ganz einfache Heilpraktikerprüfung. Hier fallen regelmäßig 75 bis neunzig Prozent der Bewerber durch, vor allem solche mit Minimalausbildung. Auch das aber kann Beobachter von jenseits der deutschen Landesgrenzen nicht tiefer beeindrucken: "In Österreich stehen Ärzte und Gesundheitspolitiker dem Beruf des Heilpraktikers sehr skeptisch gegenüber. Wir vertreten die Auffassung, dass nur derjenige Menschen behandeln sollte, der eine medizinische Ausbildung mit festgelegtem Curriculum absolviert hat", sagt beispielsweise Dr. Felix Wallner von der Österreichischen Ärztekammer. Um zu verhindern, dass obskure Heiler von außen ins Land kommen, verbietet Österreich die Heilpraktikerkunst als Kurpfuscherei sogar strafgesetzlich.

Gallier, bleibt in Eurem Dorfe!

Erneut virulent wurde die österreichische Heilpraktikerdiskussion, als die Brüsseler Eurokratie sich anschickte, ihre Dienstleistungsrichtlinie über den Kontinent kommen zu lassen. Hier drohte aus Sicht der meisten nicht-deutschen Europäer eine Globalisierung des teutonischen Heilpraktikerberufs durch die Hintertür des Herkunftslandsprinzips. In seiner reinen Form besagt dieses Prinzip, dass Dienstleister europaweit ihre Angebote zu den Konditionen unters Volk bringen können, die in ihrem Herkunftsland gelten. "Als uns das klar wurde, haben wir sehr deutlich gemacht, dass wir nicht wollen, dass deutsche Heilpraktiker grenzüberschreitend bei uns tätig werden", so Wallner, der sich bei der österreichischen Ärztekammer als EU-Konsulent um internationale Angelegenheiten kümmert. Der Lobbyismus hat Früchte getragen: Die Gesundheitsberufe wurden aus der Dienstleistungsrichtlinie ausgeklammert, natürlich nicht nur wegen der Heilpraktikerdiskussion, die allenfalls ein Randaspekt war.

Arne Krüger ist davon überzeugt, dass sich am Status des deutschen Heilpraktikers in der EU auch dann nichts ändert, wenn doch einmal irgendwann auch medizinische Dienstleistungen EU-weit reglementiert werden sollten: "Weil der Heilpraktikerberuf eine deutsche Besonderheit ist, kann er gar nicht reguliert werden. Das ist wie mit dem bayerischen Leberkäs', den kann die EU auch nicht regeln", so Krüger. Dass der deutsche Heilpraktiker durch EU-Erlasse irgendwann in seiner Existenz bedroht ist, steht also nicht zu befürchten. Dass er sich zu einem Exportschlager entwickelt, ist vor diesem Hintergrund aber auch nicht anzunehmen. Die Deutschen werden sich mit ihren Heilpraktikern also auch weiterhin selbst auseinandersetzen dürfen. Vielleicht ist das ja gar nicht so schlecht: Die Ärzte zu Zeiten der deutschen Kleinstaaterei jedenfalls waren gar nicht undankbar für ihre "kurpfuschenden" Kollegen. Denn dadurch mussten sie nicht jeden behandeln.

http://newsletter.doccheck.com/generator/553/2746/xhtml?user=c5aa950af151d84539ac95926e193920

Den guten Ruf, den Heilpraktiker heute oft noch genießen verdanken sie Hitler, denn damals wurde allen jüdischen hoch gebildeten medizinischen Professoren und Hausärzten die ärztliche Approbation entzogen und sie durften als „Kurpfuscher“ weiter arbeiten und waren natürlich bei Patienten hoch angesehen.

Obwohl Heilpraktiker heute oft gelernte Maurer, Hausmeister oder Arzthelferinnen waren, keinerlei standardisierte Ausbildung erhalten, die Prüfung exzellent bestehen, wenn sie ohne Schulung das Buch der Multiple-Choice-Prüfungsfragen mit Antworten pauken (ich habe dies mit einer jungen Laborantin gemacht, die exzellent danach die Prüfung bestand!), üben sie auf eingebildete Kranke heute eine unheimliche Sogwirkung aus.

Ich kenne viele Heilpraktiker, die ihre fehlenden medizinischen Kenntnisse durch extreme Freundlichkeit ersetzen. Denjenigen, die keine echte Medizin brauchen und Geld haben, können hier als einziges Land der Welt zu „Barfußärzten“ gehen – wie früher in China.

Da viele Patienten vor dem Toxikologen zunächst zum Heilpraktiker gehen, kenne ich haarsträubende Diagnosen und Therapien. Wenn nicht der Atlas (1.Halswirbel) erfolglos operiert wird, bin ich schon zufrieden.

Die früher übliche Vergiftung von Amalgampatienten mit homöopathischen Giften (inclusive Dioxin !) konnte ich den Heilpraktikern mit Allergietesten und Analysen der fiktiven Medikamente insgesamt austreiben. Jetzt stehen sie mit Irisdiagnose und Schwefelpillen am Straßenrand.

Jeder Patient hat die Sicherheit, wenn es irgendeine wertvolle Methode zur Heilung gibt, dann wird dies rasch Kassenleistung und wird in jeder Arztpraxis angepriesen. Kein Heilpraktiker macht nur annähernd so viel Fortbildung wie ein Arzt, der alles in der Welt kennt!