Erbrechen falsch bei Vergiftungen

Jede Neuerung braucht mindestens 35 Jahre bis sie von den Entscheidungsträgern akzeptiert wird:

Dank der hervorragenden Dissertation von Frau Hiltrud Hegemann wurde damals die probate Alternative zu jeder Form des Erbrechens wissenschaftlich untersucht und die Kohlegabe propagiert. Die Doktorantin Frau Pauer sammelte alle bekannten Fälle der Komplikationen durch Erbrechen. Viele Fälle stammten damals aus der Toxikologischen Abteilung der TU-München, die damals noch meinte, unfehlbar zu sein.

Alle Leiter der Giftnotrufzentralen hatten sich seither emsig bemüht, das Erbrechen als die erste und wichtigste Form der Giftentfernung für Laien zu verlangen.

Dem schlossen sich alle Rechtsmediziner an: Jeder, der es versäumt hatte, bei seinem Kind diese unsinnige Tortur durchzuführen, wurde wegen Körperverletzung belangt.

Größte Schwierigkeiten bereitete es mir, auf diesen Unsinn in meinen Lehrbüchern zu verzichten oder bei der Neuordnung der Apothekenbetriebsordnung deren Bevorratung nicht zur Pflicht zu machen.

Alle unsere Warnungen vor dem gefährlichen Erbrechen wurden seit Jahrzehnten als

„Panikmache“ abgeschmettert, deren Hauptvertreter Prof.v.Clarmann aus München,  der Urvater aller Formen des provozierten Erbrechens war. Es war ein ideologischer Kampf gegen Windmühlen, da sich ihm alle Giftnotrufzentralen hörig angeschlossen hatten.

 

Für die über 100 000 akuten Vergiftungsfälle in Deutschland gelten folgende

Alternativen:

  1. Sofortiger Anruf bei Giftnotruf über die zu erwartende Schwere einer Vergiftung.
  2. Harmlose Fälle mit unsicherer Giftaufnahme beobachten (Atmung, Puls).
  3. Fragliche und leichte Fälle Medizinalkohle trinken lassen, beobachten. Bei

Verschlechterung siehe 4.

  1. In allen begründeten Fällen einer Vergiftung sollte stets ein geschulter Notarzt (in Großstädten ein Klinischer Toxikologe) ausrücken, auf dem Transport Atmung und Kreislauf stabilisieren, ein Erbrechen mit Aspiration unterbinden und über Funk sich die wichtigsten Informationen geben lassen, zur Spezialbehandlung anmelden (gastroskopische Giftentfernung, Dialyse, Verbrennungsbett bei großflächiger Hautverätzung).

Diese Tätigkeit führte ich 1972- 1991 durch, weiß daher, wovon ich spreche.

 

Es ist längst überfällig, dass auf dem weltweiten Treffen aller Giftnotrufzentralen, auf dem ich früher dabei war, endlich ein bindender Konsens über das Vorgehen der Laien und Notärzte bei Vergiftungen erlassen wird.

Somit kann auch verhindert werden, dass ein Notarzt verurteilt wird, der zu einer Vergiftung hinfährt. Aufgrund eines Gutachtens des Ordinarius für Anästhesiologie erhielt ich eine Geldstrafe in Höhe von 8000.- DM vom Berufsgericht, weil ich als Notarzt zu Vergifteten kostenlos gefahren war. Obwohl die anrufende Patientin an dieser Vergiftung später starb, meinte man, die Fahrt sei nicht nötig gewesen.

Dies ist einer der Orden auf meiner Brust.