Diclofenac und Iboprufen

 


Nach dem Skandal um die Rheuma-Arznei Vioxx geraten nun auch ältere Schmerzmittel, die als Alternativen verschrieben werden, unter Verdacht. Neuen Studien zufolge könnten weit verbreitete Wirkstoffe wie Ibuprofen und Diclofenac ebenfalls das Herzinfarkt-Risiko steigern.

 

 

Es war einer der größten Skandale in der Geschichte der modernen Medizin: Bis zu 140.000 Menschen, so das Ergebnis einer Studie der Food and Drug Administration (FDA) in den USA, könnten durch die Einnahme des Arthritis-Medikaments Vioxx schwere Herz-Kreislauf-Krankheiten davongetragen haben. Der Hersteller, die US-Firma Merck & Co., nahm das Medikament im September 2004 freiwillig vom Markt. In der Folge geriet mit den sogenannten Cox-2-Hemmern eine ganze Klasse von entzündungshemmenden Schmerzmitteln unter Generalverdacht.

Viele Ärzte griffen daraufhin als Alternative zu älteren Entzündungshemmern wie Ibuprofen oder Diclofenac - in der Hoffnung, dass diese millionenfach verschriebenen Medikamente, auch wenn sie weniger magenschonend sind als die Cox-2-Hemmer, nicht mit einem erhöhten Herzinfarktrisiko behaftet seien.

Entsprechende Studien waren aber nie durchgeführt worden. Das hat sich unter dem Eindruck des Vioxx-Skandals nun geändert - mit ernüchterndem Ergebnis. Alle sogenannten nicht-steroidalen Entzündungshemmer, also neben den Cox-2-Hemmern auch alte Wirkstoffe wie Ibuprofen oder Diclofenac, steigern das Herzinfarktrisiko, so das Ergebnis zweier aktueller Untersuchungen.

Auswertung von mehr als 9000 Krankenakten

Mediziner der englischen University of Nottingham verfolgten die Entwicklung von 9218 Herzinfarkt-Patienten über einen Zeitraum von vier Jahren. Die Studie, jetzt veröffentlicht im renommierten "British Medical Journal", ist nach Angaben der Forscher die bisher größte ihrer Art. Und sie habe ein eindeutiges Ergebnis: Wer ein entzündungshemmendes Schmerzmittel verschrieben bekam, habe in den folgenden drei Monaten ein deutlich höheres Infarktrisiko gehabt als Patienten, die kein solches Medikament eingenommen hätten. Ibuprofen habe die Herzinfarktgefahr um 24 Prozent, Diclofenac gar um 55 Prozent erhöht.

Auch die neueren Cox-2-Hemmer wie etwa Celecoxib oder der Vioxx-Wirkstoff Rofecoxib waren Teil der Untersuchung. Der Studie zufolge erhöhte Rofecoxib das Infarktrisiko um 32, Celecoxib um 21 Prozent. In der Altersgruppe der über 65-Jährigen habe die Behandlung mit Diclofenac statistisch gesehen einen zusätzlichen Herzinfarkt pro 521 Patienten verursacht. Bei Rofecoxib habe das Verhältnis bei 1 zu 695, bei Ibuprofen bei 1 zu 1005 gelegen.

 

 

"Angesichts der weit verbreiteten Benutzung dieser Medikamente bei älteren Menschen und dem steigenden Infarktrisiko mit zunehmendem Alter könnten diese Zahlen beachtliche Folgen für die öffentliche Gesundheit haben", betonen die britischen Forscher um Julia Hippisley-Cox. Patienten sollten zwar aufgrund der Studie nicht ihre bisherigen Schmerzmittel absetzen, erklärte die Medizinerin. Es bestehe aber "ausreichende Besorgnis", um alle nicht-steroidalen Entzündungshemmer auf ihre Sicherheit zu überprüfen.

Deutliche Steigerung der Herzinfarkt-Gefahr

Zu ähnlichen Schlüssen kommt Gurkirpal Singh, Medizinprofessor der amerikanischen Stanford University. "Es ist ziemlich klar, dass Cox-2-Hemmer und nicht-steroidale Entzündungshemmer das Herzinfarktrisiko erhöhen", sagte Singh, der seine Untersuchung beim diesjährigen Europäischen Rheumatologie-Kongress in Wien vorstellte.

Sing hatte die Daten von mehr als 650.000 Patienten analysiert, die zwischen Januar 1999 und Juni 2004 mit Cox-2-Blockern oder älteren Entzündungshemmern behandelt worden waren. Unter den älteren Wirkstoffen sei Ibuprofen mit einem um 11 Prozent erhöhten Herzinfarktrisiko noch eines der harmloseren Mittel. Meloxicam erhöhe die Infarktgefahr dagegen um 37, Sulindac um 41 und Indomethacin gar um 71 Prozent.

Bei den neueren Cox-2-Hemmern errechnete Singh für den Vioxx-Wirkstoff Rofecoxib mit einer Risikosteigerung von 32 Prozent das größte Gefahrenpotential. Celecoxib mache einen Herzinfarkt 9 Prozent wahrscheinlicher, bei Valdecoxib konnte Singh keine erhöhte Gefahr feststellen.

"Bei hoher Dosierung sorgen sowohl die nicht-steroidalen Entzündungshemmer als auch die Cox-2-Blocker für eine moderate Steigerung des Herzinfarktrisikos", sagte Singh in Wien. Dennoch wollte auch er Medizinern nicht empfehlen, die Medikamente künftig gänzlich zu meiden. "Die Ärzte müssen die individuellen Risiken der Patienten beachten."

Bestseller unter Verdacht

Sollten die entzündungshemmenden Schmerzmittel weiterhin in Verruf geraten, könnte dies die Pharmaindustrie vor große Herausforderungen stellen. Denn die nicht-steroidalen Entzündungshemmer gehören zu den meistverordneten Arzneien überhaupt. Von Medikamenten auf Basis von Diclofenac oder Ibuprofen werden allein in Deutschland jährlich rund 900 Millionen Tagesdosen verschrieben.

Zudem macht sich neben der Herzinfarkt-Risikosteigerung ein weiterer Verdacht gegen die Schmerzmittel breit. Die US-Zeitschrift "Journal of the National Cancer Institute" berichtete in der vergangenen Woche, dass die langfristige Einnahme von Ibuprofen das Brustkrebsrisiko erhöht. Der tägliche Konsum des Medikaments über mehrere Jahre erhöhe die Gefahr vor allem sogenannter nicht lokalisierter Mammakarzinome, fanden Forscher der University of Southern California heraus.

Das Team um Sarah Marshall hatte die Daten von knapp 115.000 gesunden Frauen über einen Zeitraum von sechs Jahren ausgewertet - und eigentlich erwartet, dass Ibuprofen vor Krebs schützt. Doch am Ende waren 2400 der Teilnehmerinnen an Brustkrebs erkrankt.

Der Spiegel 13.06.05