Amalgam Endkrieg entfacht

Wie gefährlich ist Amalgam im Zahn?

Freiburger Umweltmediziner fordern ein Verbot des preiswerten Quecksilber-Füllmaterials.

 Zahnbehandlung (ap)

Droht dem Amalgam ein ähnliches Schicksal wie in der Vergangenheit den Themen Asbest, Blei im Benzin, Rauchen und Wechseljahrs-Hormontherapie? Freiburger Umweltmediziner meinen: Ja. Der endgültige Schädlichkeitsnachweis ist für sie nur noch eine Frage der Zeit. Patienten sollten ihre Amalgamfüllungen lieber fachgerecht entfernen lassen, rät der Umweltmediziner Joachim Mutter vom Uni-Zentrum Naturheilkunde in Freiburg.

Während schwedische Krankenkassen seit 1999 aufgrund einer Risikoanalyse keine Amalgamfüllungen mehr bezahlen und Schweden gemeinsam mit Belgien ein europaweites Amalgamverbot anstrebt, bekommen deutsche Kassenpatienten nach wie vor quecksilberhaltige Füllungen in die Zahnlöcher gestopft.

Kunststoff wird nur in Ausnahmefällen erstattet, etwa bei Kindern, Schwangeren, schweren Nierenfunktionsstörungen oder Quecksilberallergie. Denn Amalgam gilt nach herrschender Lehrmeinung als unschädlich.

"Kein begründeter Verdacht"

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn gibt daher offiziell Entwarnung: "Nach dem gegenwärtigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand besteht kein begründeter Verdacht dafür, dass Amalgamfüllungen unvertretbare negative Auswirkungen auf die Gesundheit von Patienten haben oder haben könnten. Aus unserer Sicht ist nach derzeitigem Kenntnisstand ein Verbot von Amalgam nicht gerechtfertigt."

Auch die US-Arzneimittelbehörde FDA stuft das für Amalgam verwendete Quecksilber seit Jahren als "dental mercury" ein, soll heißen: es ist so ungefährlich wie Zahnseide. Das klingt insofern paradox, als Quecksilber für andere Anwendungen als hoch giftig gilt. In der Verfügung der Frankfurter Staatsanwaltschaft von 1996 im Prozess gegen den seinerzeit größten Hersteller von Amalgam - Degussa verpflichtete sich damals freiwillig zur Zahlung von 1,2 Millionen Mark für die Amalgamforschung - hieß es: "Nach den durchgeführten Ermittlungen steht fest, dass Zahnamalgam auch bei bestimmungsmäßigem Gebrauch generell geeignet ist, in einer relevanten Anzahl von Fällen die Gesundheit von Amalgamträgern zu schädigen."

Gemeinsam mit zwei britischen Kollegen der University of Northampton hat nun Mutter, der auch in der Kommission "Qualitätssicherung in der Umweltmedizin" am Robert-Koch-Institut ist, im Fachblatt "Fortschritte der Neurologie und Psychiatrie" ein Krankheitsentstehungsmodell beschrieben, das den Verdacht auf einen Zusammenhang zwischen Amalgamfüllungen und Alzheimer-Demenz (AD) nahe legt. Die Mediziner werteten sämtliche zum Thema verfügbaren Studien mittels Datenbanken aus.

 In Freiburg wurde auch ein möglicher Zusammenhang zwischen Quecksilberbelastung und kindlichen Entwicklungsstörungen sowie Autismus aufgezeigt. Die Quecksilberbelastung während der Schwangerschaft stellte sich als möglicher Risikofaktor heraus.

Eine Risikobewertung zu Amalgam lieferte dann den Nachweis, dass Amalgamfüllungen eine Hauptquelle menschlicher Quecksilberbelastung sind und diese auch für andere Erkrankungen verantwortlich sein könnten. Eine kanadische Studie mit mehr als 10 000 Menschen ergab eine deutliche Abhängigkeit zwischen Zahnstatus und Alzheimer-Häufigkeit. Der Freiburger Umweltmediziner Mutter und seine Kollegen verweisen auch auf mehrere Studien an Leichen. Danach fand sich bei Personen mit mehr als zwölf Amalgamfüllungen ein um das Zehnfache erhöhter Quecksilbergehalt im Gehirn im Vergleich zur Kontrollgruppe mit weniger als drei Amalgamfüllungen. Die Personen mit hohen Quecksilberwerten im Gehirn starben zudem häufiger durch Suizid.

Auffallend sei die erhöhte und in den vergangenen Jahren zunehmende Häufigkeit der Alzheimer-Erkrankung in den Industrieländern, wo inzwischen etwa 50 Prozent der über 85-Jährigen betroffen sind. Allein durch die demographische Lage sei die Zunahme nicht zu erklären, schreiben die Autoren. Vielmehr sei zu beachten, dass Amalgam in den westlichen Industrieländern mit stark ansteigender Tendenz ab 1950 verwendet wurde.

Japaner erkranken bislang vergleichsweise selten an Alzheimer. Das könnte daran liegen, dass sie relativ wenig Industriezucker und deshalb auch seltener Amalgam verwenden. Dafür konsumieren sie reichlich Omega-3-Fettsäuren und Selen aus Meeresfischen. Selen macht das Methyl-Quecksilber unschädlich, mit dem die Fische seit Jahren zunehmend belastet sind. Allerdings sei Methyl-Quecksilber in Fisch ohnehin weit weniger giftig als bisher angenommen, betont Mutter.

Untermauert sehen die Mediziner ihre These auch dadurch, dass die ersten alzheimer-typischen Nervenzellschäden schon bei 20 bis 30 Prozent der jungen Menschen sichtbar sind: Bereits Kinder und Jugendliche erhielten oder erhalten Amalgamfüllungen. Das BfArM stützt sich derweil auf zwei im vergangenen Jahr in Jama veröffentlichte Studien an Kindern, wonach "kein negativer Einfluss von Amalgam auf Intelligenz, Gedächtnis oder visuell-motorische Leistungen festgestellt werden konnte".

Dennoch: Es existieren keine sicheren Grenzwerte für Quecksilber, unterhalb derer eine Schädigung ausgeschlossen werden kann. Und: Nur Quecksilber kann - im Gegensatz zu allen anderen Metallen - in geringsten Mengen experimentell an Nervenzellen alzheimer-typische Zellveränderungen im Gehirn auslösen.

Dass trotz der zunehmenden Datenlage Amalgam immer noch in den Zähnen erlaubt und der Zusammenhang zwischen Amalgam und Alzheimer angezweifelt wird, liegt den Forschern zufolge auch an der mangelhaften Qualität vieler Studien: "Durch den nahezu universellen Einsatz von Amalgam gibt es keine größere Langzeitstudie, in der die Kontrollgruppe und deren Mütter wirklich nie Amalgamfüllungen hatten." Meist beruft man sich auf den aktuellen Amalgamstatus.

"Eine Studie, die den endgültigen Beweis erbringen würde, müsste mindestens 50 bis 70 Jahre dauern", sagt Mutters Freiburger Kollege Johannes Naumann. "Aber wenn wir alle verfügbaren Daten betrachten, ist ein klarer Trend erkennbar, der auf einen Zusammenhang zwischen Quecksilber und Alzheimer-Erkrankung hinweist."

Größte Vorsicht geboten

Joachim Mutter rät betroffenen Patienten daher, ihre Amalgamfüllungen entfernen zu lassen. Allerdings sei größte Vorsicht geboten, denn beim Entfernen werde in massiver Konzentration Quecksilberdampf aus dem Amalgam freigesetzt. Alle verfügbaren Schutzmaßnahmen müssten getroffen werden. Dazu gehöre auch eine Atemmaske über der Nase mit externer Luftzufuhr.

Mitte November trafen sich Wissenschaftler aus aller Welt zu einer Quecksilber-Konferenz in Luxemburg. In einem Appell, den auch Joachim Mutter unterzeichnete, wurden die EU-Behörden und die Weltgesundheitsorganisation WHO aufgefordert, die Anwendung von Quecksilber in Zahnmaterialien "schnellstmöglich" zu verbieten.

Das EU-Parlament will über ein mögliches europäisches Amalgamverbot beraten.